Landrat Rainer Rempe über seinen Brief an den Innenminister, neue Aufgaben für den Ersten Kreisrat, die Y-Trasse und den Spaß an der Arbeit

Winsen. An diesem Heiligabend ist der neue Landrat des Kreises Harburg seit 100 Tagen im Dienst. Kein schlechter Termin für eine erste Bilanz. Das Abendblatt traf Rainer Rempe (CDU) in seinem Büro in Winsen. Ein Gespräch über lange Arbeitstage, knappe Termine und die Chancen für Fortschritte bei den Planungen für den Ostring in Buchholz.

Hamburger Abendblatt:

Herr Rempe, ihre ersten Monate im neuen Amt liegen hinter Ihnen, macht es noch Spaß?

Rainer Rempe:

Natürlich macht mir die Arbeit Spaß. Die 100 Tage sind schnell vergangen und waren mit spannenden Aufgaben und Herausforderungen ausgefüllt. Meine motivierten Mitarbeiter und die bekannten Strukturen haben mir den Einstieg leicht gemacht. Zudem liegt es mir durchaus, unterschiedliche Themen parallel zu bearbeiten und wenn nötig rasche Entscheidungen zu treffen.

Was haben Sie sich anders vorgestellt? Gelingt das Delegieren?

Rempe:

Meine Vorstellungen waren nahe an der Realität. Aber meine Zeit ist jetzt noch knapper. Damit muss man klarkommen und ein Gefühl entwickeln, was man delegieren kann oder muss. Noch fehlt uns ein neuer Erster Kreisrat...

...weil Sie Landrat werden wollten und Kämmerer Peter Dederke in den Ruhestand gegangen ist.

Rempe:

Der Erste Kreisrat wird künftig mein Allgemeiner Vertreter und Kreiskämmerer in Personalunion. Er wird Finanzvorstand der Verwaltung und übernimmt die Leitung des Controllings. Für die Position gibt es rund 30 Bewerber. Der Auswahlprozess beginnt jetzt. Schön wäre es, wenn der Kreistag im März meinen Vorschlag beschließen würde. Dafür brauche ich aber eine politische Mehrheit.

Flüchtlinge, Planungen zur Y-Trasse und zu Stromtrasse Suedlink, Bürgerinitiativen, Klinik Salzhausen: Derzeit gibt es viele offene Probleme. Ist das gerade zu Beginn einer Amtsperiode nicht eine besondere Last?

Rempe:

Ich sehe das eher als Herausforderung, obwohl ich mir schon einige positivere Themen gewünscht hätte.

Wie sehen Sie das Verhältnis des Kreises zum Land und dessen Kooperationsbereitschaft?

Rempe:

Die neuen Strukturen mit Jutta Schiecke, der Landesbeauftragten in Lüneburg, müssen sich finden. Mit ihr zusammen haben die elf Kreise des ehemaligen Regierungsbezirks Lüneburg eine Regionale Handlungsstrategie für die neue EU-Förderperiode auf den Weg gebracht. Schwerpunkte sind dabei Infrastruktur und Verkehr, die Sicherung von Fachkräften, Innovation oder der effiziente Einsatz von Energie. Künftig achtet die EU bei der Vergabe von Fördermitteln stärker als bisher auf Kooperationen als auf Verwaltungsgrenzen. Es wird zudem weniger Geld aus Brüssel geben: Die Zuschüsse sinken von bisher bis zu 75 Prozent auf nur noch bis zu 50 Prozent. Daher müssen wir nun gemeinsam ausgereifte Projektanträge vorlegen. Auch unsere Zusammenarbeit mit dem Innen- und dem Sozialministerium bei der Übernahme des Krankenhauses Salzhausen war sehr positiv.

Auf Ihren Brief wegen der Zuteilung der Flüchtlinge von Anfang Dezember hat Innenminister Boris Pistorius aber bis heute nicht geantwortet, oder?

Rempe:

Nein, es gibt keine Antwort. Wir wollen transparent nachvollziehen, wie viele Flüchtlinge uns im Vergleich zu anderen Landkreisen tatsächlich zugewiesen werden. Ich kenne bisher nur den Schlüssel und die daraus resultierenden Zahlen, mit dem das Land die Quoten festlegt. Aber ich weiß nicht, wie sich die realen Aufnahmezahlen in den Landkreisen darstellen. Zumindest gefühlt ist die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, verglichen mit anderen niedersächsischen Landkreisen sehr hoch. Es muss jedoch eine gerechte Verteilung der Menschen geben. Es kann einen schon ins Staunen bringen, wenn man über Wochen keine Antwort erhält, zumal ich auch Ministerpräsident Stephan Weil auf das Thema angesprochen habe. Die entsprechenden Zahlen sollten eigentlich auf Knopfdruck verfügbar sein.

Transparenz ist das eine, aber steigt nicht auch die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge 2015 weiter?

Rempe:

Schon zuletzt wurde die Quote erhöht. Erst sollten wir bis Ende September 2015 insgesamt 541 Flüchtlinge unterbringen. Dann wurde dieser Zeitraum auf den 30. Juni 2015 und später auf den 31. Dezember 2014 verkürzt. Nun gilt eine neue Quote: Bis zum 30. September 2015 sollen weitere 976 Flüchtlinge in den Kreis kommen. Selbst mit dem vom Bund versprochenen, um zwei Millionen Euro erhöhten Zuschüssen für 2015, der leicht steigenden Pauschale des Landes pro Flüchtling und der möglichen Übernahme der Krankenhilfe erwarten wir 2015 ein Defizit von 18 Millionen Euro. 2014 waren es gut zehn Millionen Euro. Dagegen können wir nicht ansparen. Wir werden einen Nachtragshaushalt aufstellen müssen.

Sie wollen die Kreisumlage für die Gemeinden erhöhen. Reichen drei Punkte, über die sie 6,9 Millionen Euro mehr einnehmen würden?

Rempe:

Wie man sieht, würde dies nicht einmal die Hälfte unserer zusätzlichen Kosten decken.

Also ist eine stärkere Erhöhung nötig?

Rempe:

So weit möchte ich nicht gehen. Aber ich habe erst am gestrigen Dienstag eine Delegation von vier Bürgermeistern empfangen, um mit ihnen die Lage zu diskutieren.

Mal abgesehen von den Kosten: Wie beurteilen Sie die Willkommenskultur im Kreis?

Rempe:

Die Grundstimmung und die Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen sind sehr positiv. Diese gelebte Willkommenskultur wollen wir aufrechterhalten. Nun ist es dringend notwendig, dass wir weiter ausreichend Wohnraum bereitstellen. Wir möchten nicht letztlich doch noch auf Notunterkünfte in Turnhallen oder auch in Dorfgemeinschaftshäuser zurückgreifen müssen.

Was ist dafür notwendig?

Rempe:

Die Gemeinden müssen uns ausreichend Grundstücke melden, die für Containerunterkünfte geeignet sind. Alle müssen solidarisch ihren Beitrag leisten. Geschieht das nicht, ist es denkbar, dass wir die Unterbringung der Flüchtlinge wieder auf die Gemeinden übertragen. Diese Möglichkeit bereiten wir in der Kreisverwaltung vor.

Von den Flüchtlingen zur Y-Trasse, über die Container per Bahn von Hamburg und Bremerhaven Richtung Hannover gebracht werden sollen. Was erwarten Sie von dem Dialogverfahren zwischen Bahn, Land, Kommunen und Bürger-Initiativen, das 2015 beginnt?

Rempe:

Viele erwarten, dass wir uns bis zum Jahresende 2015 auf eine Variante geeinigt haben. Das halte ich für unrealistisch. Es wäre schon viel erreicht, wenn wir uns auf Kriterien für die Auswahl einer Variante verständigen können. Das wird schwierig genug. Immerhin haben die Moderatoren versprochen, Bürgertelefone, eine Internet-Plattform sowie Informationsstände einzurichten. Alle Sitzungen sollen im Internet übertragen werden. Aber auf Augenhöhe werden wir mit der Bahn nur verhandeln, wenn wir die Prognosen für das zu erwartende Verkehrsaufkommen prüfen können. Dafür werden wir wenn nötig mit den Kommunen Gutachten in Auftrag geben.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das Engagement Ihres Schuldezernenten Friedrich Goldschmidt für das Bürgerbündnis Nordheide?

Rempe:

Positiv. Er ist als Bürger Anlieger an der Strecke. In den Sitzungen beim Dialog wird er einen anderen Hut aufhaben. Grundsätzlich begrüße ich es, dass sich mehrere Initiativen zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben.

Wann ist mit der Y-Trasse zu rechnen?

Rempe:

Optimistisch gesehen wird sie frühestens in 15 Jahren fertig sein. Schon heute scheint klar: Das Raumordnungsverfahren für die alte Y-Trasse ist wohl nicht mehr aktuell genug. Es zu aktualisieren, wäre jedoch deutlich zielführender, als komplett neu mit den Planungen zu beginnen.

Die Übernahme des Krankenhauses Salzhausen war keine Herzensangelegenheit des Kreises. Wie geht es weiter?

Rempe:

Wir haben die Gesamtverantwortung für die Gesundheitsversorgung im Landkreis. Mit dem Übernahme- und Umwandlungsbeschluss sind wir ihr gerecht geworden und bieten den Mitarbeitern des Hauses eine Perspektive. In den kommenden drei Jahren muss der Übergang vom Krankenhaus zu einem ambulanten Gesundheitszentrum gestaltet werden, etwa durch ambulante Operationen in den beiden hochmodernen OP-Sälen. Unser Ziel ist es außerdem, niedergelassene Ärzte mit ihren Praxen an das Haus zu binden. Ich bin optimistisch, dass wir zu einer vernünftigen Nachnutzung kommen und den Standort sichern. Für die Umstrukturierung müssen alle Akteure an einem Strang ziehen. Wichtig ist eine aktive Unterstützung durch die Gemeinde und die Samtgemeinde Salzhausen.

Erwarten Sie für 2015 Fortschritten bei der Planung des Ostrings in Buchholz?

Rempe:

Nach den Rechtsverfahren in der Vergangenheit habe ich für Anfang Januar die Fraktionsvorsitzenden im Kreistag und im Buchholzer Stadtrat nach Winsen eingeladen. Dabei wollen wir klären, was ein Mediationsverfahren für die Planung der Umgehung bringen kann. Unser Ziel ist es, das Planfeststellungsverfahren zu retten. Wenn wir uns einigen können, nehmen wir das Gerichtsverfahren wieder auf. In Anbetracht der hohen Verkehrsbelastung in der Innenstadt sollten alle Interesse an einer schnellen Umsetzung haben.