Neuer Verein will die Arbeit an der Lüneburger Bildungs- und Gedenkstätte zur NS-Euthanasie sichern

Lüneburg. Carola Rudnick ist auf der Suche. Sie sucht seit zwei Jahren. 70-mal ist sie schon fündig geworden. Und wird es immer wieder sein. Die Historikerin erforscht Biografien von Opfern der sogenannten Kinderfachabteilung während des Zweiten Weltkriegs in Lüneburg. Deren Nachkommen wissen oft bis heute nicht, was mit den Kindern und Jugendlichen aus ihrer Familie wirklich passiert ist, nachdem Ärzte sie in die Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen haben.

Denn die Eltern dachten, ihren Kindern würde dort geholfen. Dass sie gesund würden. Dass sie keines natürlichen Todes gestorben sind, das glaubte niemand.

Insgesamt 31 sogenannte Kinderfachabteilungen haben die Nationalsozialisten in Krankenhäusern sowie Heil- und Pflegeanstalten eingerichtet. Insgesamt 5000 Kinder und Jugendliche sind dort gestorben. Teils an der Überdosierung von Medikamenten, teils an den Folgen von Mangelernährung. Kinderfachabteilungen waren Tötungsstätten für junge Patienten mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Wer als unheilbar krank galt, dessen Lebenswert lag nach den menschenverachtenden Regeln der sogenannten Rassenhygiene der Nazis darin, nach dem Tod für Forschungszwecke genutzt zu werden, etwa der Erforschung von Erbkrankheiten.

„Opfer der NS-Psychiatrie“ heißt das Projekt, das die Lüneburger Wissenschaftlerin Carola Rudnick seit zwei Jahren leitet. Jetzt hat sich ein neuer Trägerverein gegründet, der die Arbeit der Bildungs- und Gedenkstätte sichern und erweitern will.

Dr. Sebastian Stierl ist der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, Mitbegründer der 2004 eröffneten Bildungs- und Gedenkstätte „Opfer der NS-Psychiatrie“ und jetzt der Vorsitzende des neuen Trägervereins „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg. Er sagt: „Der neue Trägerverein bildet die Grundlage für eine dauerhafte und qualifizierte Gedenkstättenarbeit. Das bedeutet unter anderem, dass die Weiterbeschäftigung von Dr. Carola Rudnick auch nach Ende der aktuellen Projektförderung im August 2015 sichergestellt werden kann. Das bedeutet Sicherheit für die Weiterführung und den Ausbau der bisherigen Arbeit.“

Bisher sei es eine grundlegende Förderbedingung für die Projekte der Gedenkstätte gewesen, dass mehr oder weniger ausschließlich pädagogische Arbeit geleistet wurde.

Dass derzeit noch lebende Angehörige ansprechbar und bereit zur Auskunft sind, sei ein „unerwartetes Geschenk“, sagt Stierl. „Im Laufe der nächsten Jahre werden diese Zeitzeugen immer seltener werden. Auch das ist ein Grund, die Biografiearbeit jetzt so intensiv und professionell wie möglich weiterzuführen.“

Auch der Kirchenkreis Lüneburg gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Euthanasie-Gedenkstätte. Superintendentin Christine Schmid ist es wichtig, dass die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte fortgesetzt wird. „Das Gedenken an die Opfer der Euthanasie ist unverzichtbar, um ihnen einen Teil der genommenen Würde zurückzugeben. Die Gräuel der Euthanasie dürfen nicht vergessen werden, um unsere Gewissen zu schärfen und die ethische Urteilsbildung der nächsten Generation mit zu formen.“

Außerdem biete die Einbeziehung von noch lebenden Angehörigen der Opfer eine große Chance, sagt Schmid: „Trauerarbeit, die oft gar nicht möglich war, wird behutsam begleitet. Und durch die Angehörigen kann ein Brückenschlag in die Gesellschaft geschafft werden.“

Wer denkt, in seiner Familie möglicherweise ein Opfer der ehemaligen Kinderfachabteilung zu haben, kann sich per E-Mail an Carola Rudnick wenden: c-rudnick@t-online.de. Informationen zur Ausstellung und zur Gedenkstätte gibt es unter Telefon 04131/601302.