Die Wartelisten sind unverändert lang. Personalschlüssel wurde erhöhter Betreuungsquote nicht angepasst

Harburg. „Der erfolgreiche Ausbau der Kinderbetreuung trägt wesentlich dazu bei, dass Hamburg zur kinder- und elternfreundlichsten Stadt wird.“ So feierte Bürgermeister Olaf Scholz Mitte vergangenen Jahres die „erfolgreiche Umsetzung“ des Kita-Rechtsanspruchs auf eine fünfstündige Betreuung plus Mittagessen für alle Hamburger Kinder ab vollendetem ersten Lebensjahr. Und Sozialsenator Detlef Scheele assistierte mit der Aussage, der Senat habe sein Versprechen gehalten, „dass jedes Kind ab einem Jahr ab 1. August 2013 einen Platz in einer Kita oder Krippe bekommt.“

Aus Sicht von Britta Herrmann, Fraktionschefin der Harburger Grünen, hat das so schon vor 18 Monaten nicht gestimmt. Trotz Eröffnung zweier weiterer Kitas seit August 2013 – damit gibt es im Bezirk nunmehr 70 bei der Sozialbehörde (BASFI) registrierte Kindertagesstätten – und 210 neuer Krippenplätze könne von einer Deckung des Bedarfs auch heute keine Rede sein. Herrmann muss es wissen. Als Leiterin der Kita „Unizwerge“ in der Kroosstraße mit 56 Plätzen hat sie besten Einblick in die Materie. Und weiß um die Nöte der Eltern. „Unsere Warteliste umfasst aktuell etwa 100 Namen für zehn im Sommer frei werdende Plätze“, sagt Herrmann. Und das sei kein Einzelfall.

Das bestätigt auch Annemarie Hansen, Leiterin der Kita „Kinderladen Marienkäfer“ in der Marienstraße (65 Plätze). „Bei uns stehen ungefähr 50 Namen auf der Liste, davon viele für den Krippenbereich und eine fünfstündige Betreuung.“ Ina Lindemann von der Marmstorfer Kita „Krabbelkiste“ am Beutnerring (45 Plätze) hat das Führen einer Warteliste aufgegeben: „Wenn nicht absehbar ist, dass uns Kinder verlassen, sagen wir den Müttern konsequent ab.“ Es mache keinen Sinn, sie zu vertrösten. „Wir raten ihnen aber, sich bereits anzumelden, sobald sie schwanger sind. Wir haben jetzt schon fünf Interessenten für einen Krippenplatz im Jahr 2016 registriert“, so Lindemann.

Auch Ulrike Muß von der Rudolf-Ballin-Stiftung, die in Harburg eine „Kerni Kids“-Kita betreibt, bestätigt den permanenten Engpass: „Wir bieten zwar an den zwei Standorten Wilhelm- und Julius-Ludowieg-Straße insgesamt 160 Plätze an, doch die Nachfrage können wir damit nicht decken. Aktuell stehen auf unserer Warteliste zwölf Kinder für den Krippen- und mehr als 40 für den Elementarbereich ab drei Jahren.“

Das kann kaum überraschen. Laut Sozialbehörde lebten Ende Juni dieses Jahres im Bezirk Harburg 8939 Kinder im Alter bis sechs Jahren, von denen etwa 5500 in Kitas betreut werden. Dennoch sagt Oliver Kleßmann von der BASFI auf Abendblatt-Nachfrage: „Nach Kenntnis der Sozialbehörde wird der aktuelle Bedarf mit den vorhandenen Betreuungskapazitäten der Harburger Kitas gedeckt.“ Dank des seit mehr als elf Jahren bestehenden Kita-Gutschein-Systems würden die Kitas und ihre Träger die Bedarfe vor Ort kennen und könnten „ihre Angebote dezentral, selbstständig und eigenverantwortlich anpassen“, gegebenenfalls auch durch den Bau neuer Kitas. So seien der BASFI vier Kita-Neuplanungen für den Bezirk Harburg bekannt.

Die Unzufriedenheit mit der gesamten Betreuungssituation dokumentierte sich unterdessen auch in einem Sternmarsch von 4000 Kita-Mitarbeitern, der am 30. Oktober vor dem Hamburger Rathaus endete. Dabei ging es auch und vor allem um qualitative Aspekte der Betreuung. „Zwar feiert sich der Senat beständig für die steigende Quote an betreuten Kindern in den Kitas der Stadt. Über die notwendige Anpassung des Personalschlüssels liest man aber so gut wie nichts“, moniert Britta Herrmann. Während die Träger eine Erhöhung um 25 Prozent fordern würden, liege das Angebot des Senats gerade bei zehn Prozent. Von den in den nächsten fünf Jahren erforderlichen 120 Millionen Euro sollen die Träger aber 30 Millionen selbst tragen.

Aktuell kommen laut BASFI auf einen Erzieher im Krippenbereich 6,3 Kinder, im Elementarbereich 10,7. „Damit liegt Hamburg im Bundesvergleich allenfalls im hinteren Mittelfeld. Wissenschaftliche Studien fordern einen Schlüssel von 1:3 für den Krippenbereich, der Paritätische Verband fordert mindestens 1:4“, so Herrmann. Die aktuelle Personallage habe indes auch Auswirkungen auf die Umsetzung der Ende 2012 überarbeiteten „Hamburger Bildungsempfehlungen“. Die schreiben unter anderem eine pädagogische Vor- und Nachbereitung, Eltern- und Entwicklungsgespräche sowie eine verbindliche Dokumentation vor. „Für diese sogenannte mittelbare Pädagogik ist aber bisher gar keine Zeit vorgesehen. Dafür müssen die Erzieher und Sozialpädagogen ihren Feierabend, ihre Freizeit einsetzen. Das ist ein haltloser Zustand“, sagt Britta Herrmann.