Hans-Christoph Frommann aus Dibbersen engagiert sich für die Dorfgemeinschaft – und dies seit sechs Jahrzehnten

Als das Schreiben der Stadt Buchholz im Briefkasten lag, war Hans-Christoph Frommann „doch sehr überrascht“. Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse werde ihm die Ehrennadel für außerordentliches ehrenamtliches Engagement verleihen, las er staunend. Wegen seiner jahrzehntelangen Mitgliedschaft im Männergesangsverein, im Schützenverein und der freiwilligen Feuerwehr seines Heimatorts Dibbersen.

Gewiss, er hat viel Vorstandsarbeit geleistet. Aber ist das Grund genug für öffentliche Würdigung? Er selbst hatte Zweifel. Und wunderte und freute sich deshalb in den folgenden Tagen immer wieder. Denn sobald die Kunde von der bevorstehenden Ehrung die Runde machte, erfuhr er regen Zuspruch von Freunden, Kameraden, Nachbarn und Bekannten. „Gut, dass mit Dir auch mal ein Mann aus der zweiten Reihe in den Mittelpunkt rückt“, hörte er von zahlreichen Gratulanten.

Tatsächlich war Hans-Christoph Frommann nie einer, der an vorderster Front die Welt rettet. Aber als Bewahrer der Dibbersener Gemeinschaft hat er seit Jugendtagen dazu beigetragen, ein Stück Kultur am Leben zu erhalten: Dorfkultur. Damit gehört er einer aussterbenden Spezies an. Hans-Christoph Frommann ist ein engagierter Vereinsmeier. Ein wahres Prachtexemplar jenes immer seltener werdenden Menschenschlags also, der auch in Zeiten zunehmender Vereinzelung unbeirrt für das Wirgefühl wirbt. Der sich mit selbstlosem Einsatz gegen den Trend zum Eigennutz stellt. Der Verantwortung übernimmt, die andere nicht tragen wollen. Der bereit ist, Ärger zu schlucken und Konflikte zu ertragen und notfalls den Kopf hinzuhalten, wenn die Kameraden sich wegducken. Auf den man sich immer verlassen kann. Vor allem auch langfristig.

Hans-Christoph Frommann ist jetzt 76 und seit sechs Jahrzehnten Mitglied im Männergesangverein, im Schützenverein, im Spielmannszug und in der Feuerwehr. Dem Sparclub „Emsig“ gehört er seit einem halben Jahrhundert an. „Die ersten Jahre hat meine Mutter für mich eingezahlt“, bekennt er. So dicke hatte er es damals nicht. Während sein drei Jahre älterer Bruder Heinrich in das Familienunternehmen einstieg, musste sich Hans-Christoph seine Existenz erst langsam aufbauen. Den jüngeren störte das nie. „Ich hätte nicht so viel Lust gehabt, Gastwirt zu werden.“ Ansonsten sind sich die Brüder sehr ähnlich. Auch Heinrich hat sich enorm in allen heimatlichen Vereinen engagiert, dafür trägt er bereits die Buchholzer Ehrennadel.

Wenn Hans-Christoph aufzählt, welche Ehrenämter er wo und wie lange inne hatte, schwirrt einem bald der Kopf. Im Schützenverein gehörte er zur Schießkommission, hat zehn Jahre lang Jugendarbeit betrieben und so „eine schlagstarke Truppe von Sportschützen aufgestellt.“ Er selbst holte mehrere Kreis- und Landesmeistertitel im Armbrustschießen. Als sich während seines Königsjahres 1973/74 die Damengruppe gründete, hat er auch die trainiert. Im Spielmannszug war er erst Flötist, dann Becken-Schläger. Zuletzt gab er mit der Pauke den Takt vor. Als er zu Jahresbeginn seine aktive Rolle bei den Spielleuten aufgab, stand der ganze Zug stramm und der Tambourmajor überreichte dem „lieben Hansi“ eine selbst gestaltete Dankesurkunde. Da seien ihm die Tränen gekommen, erzählt Hans-Christoph und schnieft auch heute noch, vor Rührung und Stolz und Dankbarkeit. Die Belobigung der Kameraden hat ihm viel bedeutet. Mehr noch als die offizielle, die er jetzt bekommen hat.

Friede, Freude, Eierkuchen herrscht freilich nicht immer im Vereinswesen. Im Männergesangsverein hat es mal richtig Zoff gegeben. Jemand hatte behauptet, der Vorstand leiste miserable Arbeit. Da war Hans-Christoph vom Amt als Erster Vorsitzender zurückgetreten und wollte nie mehr in die vorderen Reihen. Eigentlich. „Aber als ich ein halbes Jahr später sah, dass sich überhaupt nichts mehr tat, bin ich dann doch wieder rein in den erweiterten Vorstand, zuerst mal in den Festausschuss. Ich konnte einfach nicht anders.“ Insgesamt wirkte er zehn Jahre als Erster und 16 als Zweiter Vorsitzender. Das Amt des Stellvertreters bekleidet er bis heute. „Sind ja keine anderen Leute da, die was in die Hand nehmen wollen.“

Seine Devise lautet: Was man kann, das macht man auch. Diese Lebenseinstellung, so glaubt er, habe er wohl schon mit der Muttermilch eingesogen. Er erinnert sich daran, dass die Eltern auch mitten in der Nacht die Tür des Wirtshauses aufsperrten, wenn ein später Gast ans Fenster klopfte. Jeder Hungrige wurde gesättigt, jeder Obdach suchende aufgenommen. Egal, woher er kam und zu welcher Uhrzeit. Hans-Christoph erinnert sich gut daran, wie seine Mutter unermüdlich kochte und auftischte. Und als im Krieg anstatt zahlender Kundschaft verletzte Soldaten in der Gaststube lagen, versorgte sie eben die.

Es kostet Zeit und Geld, sich für andere einzusetzen. Hans-Christoph Frommann ist deshalb nicht weit in der Welt herumgekommen. Er kennt bloß ein paar schöne Ecken Deutschlands von seinen seltenen Urlaubsreisen her. Einige haben er und seine Frau Ingeborg mit vier anderen Ehepaaren unternommen. Chorsänger alle zehn, sämtliche Stimmlagen vertreten. „Unterwegs haben wir oft gemeinsam gesungen. Beim Drosselmüller in Rüdesheim haben unsere Lieder bei den Gästen so viel Anklang gefunden, dass sie uns Wein flaschenweise spendiert haben und der Wirt uns bat, doch noch ein bisschen länger zu bleiben.“ Bei der Erinnerung leuchten Frommanns Augen. Ein Karibik-Trip zu zweit hätte ihm wohl nicht halb so gut gefallen wie die gemeinsame Reise an den Rhein.

Diese Zeit ist vorbei. Die Sänger sind in die Jahre gekommen. Den ersten Tenor singt Frommann schon lange nicht mehr. Zum zweiten reicht es noch. Dabei gehört er im Männergesangverein Dibbersen doch zu den Jüngeren. Der Altersdurchschnitt liegt zurzeit bei 78. Tendenz: Steigend. Man muss kein Prophet sein um zu wissen, dass es den Chor in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird. War also Hans-Christophs Frommanns Einsatz umsonst? Würde er lieber mehr an sich selbst denken wollen, wenn er noch einmal jung wäre?

Die Antwort des vierfachen Vaters, elffachen Opas und Urgroßvaters kommt wie aus der Pistole geschossen. Er würde alles wieder ganz genau so wiederholen. Schließlich mache die Vereinsarbeit unter dem Strich mehr Freude als Mühe. Und man profitiere selbst, weil man viel Selbstbewusstsein, Organisationstalent und vor allem Erfahrung im Umgang mit Menschen dazu gewinne. „Das hat mir beruflich viel geholfen, ob als selbstständiger Tankstellenbesitzer oder als Angestellter im Autohandel, im Baustoffhandel oder im Landhandel“, sagt Hans-Christoph Frommann, ursprünglich gelernter Landwirt.

Und dann ist da ja auch noch die Vorbildfunktion. Frommann ist ungeheuer stolz, dass jedes seiner Kinder sich ebenfalls ehrenamtlich engagiert. Tochter Angela Eikhoff ist Mitglied im Ortsrat Sprötze. Birgit Albers war 25 Jahre lang Leiterin der Jugend-Rot-Kreuz-Gruppe Dibbersen und im Kirchenvorstand engagiert. Kerstin Schubert ist Zweite Vorsitzende der plattdeutschen Theatergruppe „Bickbeern Schweizer“. Und Sohn Christoph ist Fußballtrainer der Jugendabteilung des FC Rosengarten und Schriftführer der Lindhorster Feuerwehr. „In Lindhorst war übrigens mein Großvater Wilhelm Kaiser jahrelang Bürgermeister. Der Hang zum Einsatz für die Dorfgemeinschaft muss wohl in der Familie liegen“, sinniert Hans-Christoph Frommann.