An diesem Sonnabend eröffnet Ulf Schröder den Winterball. Das Fest im Privathotel Lindtner ist der Höhepunkt der Ballsaison in Harburg

Grüner Schützensmoking, um den Hals die kleine Königskette. So tritt die amtierende Majestät der Harburger Schützengilde von 1528 durch die Türen des großen Spiegelsaals. Fast könnte man meinen, er sei schon da, der große Moment, auf den sich Ulf Schröder seit Monaten freut: Die feierliche Eröffnung des Winterballs. Aber noch ist es nicht soweit. Der König hat sich nur zeigen lassen, wie er durch die Gänge des Privathotels Lindtner zum Hintereingang des Ballsaals gelangt. Hier wird er morgen, am 13. Dezember, Schlag 20.30 Uhr einmarschieren.

Das Fest zu Ehren des Gildemonarchen ist Höhepunkt der Ballsaison südlich der Elbe. Mehr als 400 Gäste haben sich bereits angemeldet. Wohlgemerkt auch von nördlich der Elbe. Gelistet sind bekannte Namen aus Handel, Handwerk, Industrie, Wissenschaft und Politik: Hamburgs zweite Bürgermeisterin, Dorothee Stapelfeldt, hat sich angekündigt. Die Moderatorin Bettina Tietjen auch. Als Schirmherrin des Harburger Hospizes wird sie für das Sterbehaus werben. Die Einnahmen aus dem Gewinnspiel – Hauptpreis: eine wertvolle Reise – werden der Langenbeker Einrichtung gespendet werden, sagt Ulf Schröder.

Er hat auf eigene Initiative zum Gespräch geladen. Mit Öffentlichkeitsarbeit kennt er sich aus. Schließlich engagiert sich der 33-Jährige schon seit Jugendtagen bei den Sozialdemokraten. Zurzeit ist er Mitglied der SPD-Fraktion im Bezirksausschuss seiner Wahlheimat – in München Schwanthalerhöhe. Als bekennender Homosexueller gehörte er viele Jahre zum Vorstand der Schwusos, der Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der SPD. Vor einigen Monaten hat er dieses Engagement aufgegeben. Neben seinem Job als Sozialversicherungsfachangestellter der AOK, seinem Einsatz als Sozialrichter und Versicherungsberater und der Regentschaft als Gildekönig war die Aufgabe nicht länger zu bewältigen. Jedenfalls nicht mit dem hundertprozentigen Einsatz, den Schröder sich selbst abverlangt. Ganz oder gar nicht ist sein Motto.

Als Repräsentant von Harburgs ältester Institution hat er viele Termine wahrzunehmen. Jeder Gildekönig besucht traditionell eine Reihe von Empfängen, Bällen, Jubiläen, Schießveranstaltungen. Etwa 100 Anlässe stehen auf der Liste, die Schröder gewissenhaft abarbeitet. Bisher hat er erst zwei kleinere Veranstaltungen verpasst, aus gesundheitlichen Gründen.

Seit er im Juni von Bezirksamtsleiter Thomas Völsch zur Gilde-Majestät proklamiert wurde, ist der Münchener jedes Wochenende per Bahn von der Isar an die Elbe gereist. Er wohnt stets im Lindter, zu günstigen Sonderkonditionen. „Dafür bin ich sehr dankbar. Ich fühle mich hier pudelwohl“, sagt Schröder. Hotel und Gilde sind eng miteinander verbunden. Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird in Heimfeld der Königsball gefeiert, der seit zehn Jahren Winterball heißt. Weil es den Schützen ein Anliegen ist, zu signalisieren, dass sie keinen geschlossenen Zirkel bilden. Weil sie zeigen wollen, dass sie interessiert sind an vielfältigen Kontakten. Weil sie junges Blut brauchen, um die sich lichtenden Reihen aufzufüllen. Sie brauchen Männer wie Ulf Schröder.

Aber was hat Schröder bewegt, das wenig beliebte, weil mit Kosten und Zeitaufwand verbundene Königsamt in seiner ursprünglichen Heimat Harburg zu übernehmen? Die Antwort auf diese Frage gibt Schröder im „Allerheiligsten“. So nennt er das Gildezimmer im zweiten Stock des Hotels. Nur verdiente Gilde-Mitglieder und ausgewählte Gäste dürfen den vergleichsweise kleinen, fensterlosen Raum betreten. Er selbst sieht ihn heute zum ersten Mal.

Von der Wand blicken sämtliche Nachkriegs-Majestäten aus ihren Rahmen. Stolz und in vollem Putz, angetan mit Federhut, weißen Handschuhen und der schweren Königskette mit den vielen Silberschilden. Ulf Schröder wird viel zu gucken haben, während er hier am Abend des Winterballs auf das Signal zum Einmarsch wartet. Dabei ist nur ein kleiner Teil jener Harburger Persönlichkeiten zu sehen, die die Gilde-Tradition seit nunmehr fast 500 Jahren weiter gegeben haben. Ulf Schröder ist sehr stolz, dass er dazu gehört und sein Bild im kommenden Jahr die Reihe fortsetzen wird.

Aber um die Ehre geht es ihm nicht in erster Linie. Mit seiner Regentschaft will er für die Gilde werben und so zu ihrem Fortbestand beitragen. „Ich will ein Zeichen setzen und zeigen, dass die Gilde so ist wie ein Verein sein muss, wenn er im 21. Jahrhundert Werte und Traditionen leben und bewahren will: Offen für Neues. Bereit, sich selbst zu hinterfragen und etwas zu wagen, was vorher nicht denkbar war.“

Über die Ausgaben im Zusammenhang mit seiner Regentschaft führt er penibel Buch, über die absolvierten Termine auch. Er will beweisen, „dass ein Königsjahr eben nicht, wie hartnäckig behauptet, 40.000 bis 60.000 Euro kostet.“ Im ersten Halbjahr hat er rund 7000 Euro ausgegeben. „Ich finde, das kann man sich leisten“. Zweiter Punkt seiner Strategie: Er will die lange Terminliste abspecken, die potenzielle Königsanwärter noch mehr abschreckt als die Ausgaben. „Man muss sich doch fragen: Welche Anlässe sind lohnend für die Gilde, welche nicht?“ Seine Beurteilung wird Schröder jedem Thron-Folger zur Orientierung an die Hand geben.

Was die Toleranz der Gilde betrifft: Er selbst sei doch der beste Beweis, findet Schröder. Jung, schwul, bayerisch. Seine sexuelle Orientierung sei für die weit überwiegende Zahl der Kameraden kein Problem. Er genieße viel Ansehen und Unterstützung. Heute jedenfalls. Ende der 90er Jahre sei das noch ganz anders gewesen, sagt Schröder. 2000 zog er nach Bayern. „Ich musste mein Privatleben auf die Reihe bringen.“ Seit 15 Jahren lebt er nun schon mit seinem Freund zusammen in einer Altbauwohnung im Münchener Westend. Beim Ball wird sein Partner anwesend sein. Den Eröffnungstanz – „Schneewalzer, schließlich ist ja Winterball“ – wird Schröder mit der von ihm sehr geschätzten Gattin eines Gildekameraden bestreiten. Er tanze durchaus gern, aber ausschließlich mit Frauen. In der Tanzschule Hädrich, Hörmann, Hesse hat er es einst bis zum Bronzeabzeichen gebracht.

Besser noch als aufs Schwofen versteht er sich freilich aufs Netzwerken. Er brennt darauf, am Rande des Parketts Kontakte zu knüpfen, insbesondere zwischen Vertretern verschiedener Schützenvereine. In München ist er in der Hauptschützengesellschaft München e.V. und der Schützengesellschaft Nußhäher e.V. aktiv. Einige Vertreter seiner bayerischen Vereine werden zum Fest anreisen. Umgekehrt wird Ende Januar eine Gildedelegation zum Münchener Bezirksschützenball reisen.

Auch die schon vor langer Zeit eingeschlafene Verbindung zur Schützengilde Buxtehude hat Schröder reaktiviert. „Schließlich gehören Harburg und Buxtehude zu den vier deutschen Schützengilden, die einen Papageienvogel an der Königskette haben.“ Auch Delegationen der Vereine, denen er während seiner Regentschaft in Harburg Stadt und Land beigetreten ist – Over, Heimfeld, Eißendorf, Marmstorf und Zu Moorburg – werden selbstverständlich zum Winterball kommen.

Nur mit vereinter Kraft, davon ist Ulf Schröder überzeugt, kann sich das Schützenwesen künftig behaupten. „Ich nutze meine Position als Gildekönig, um Netzwerke zu bilden, damit die Vereine miteinander kommunizieren.“ Ulf Schröder begreift das große Fest ihm zu Ehren deshalb nicht als Party. Eher als besonders langen Arbeitstag. „Erst ab dem Spiegeleieressen um vier Uhr früh werde ich an mich selbst denken.“ Den ersten Gilde-Nachwuchs hat er bereits akquiriert. Demnächst wollen seine Brüder Björn, 22, und Lars, 21, den Fahnenjunkern beitreten. Erst einmal schnuppern die beiden Jungs Gildeluft beim Winterball.