Die Stadt gibt es zwei Mal: „echt“ mit der Marktstraße, nachgebaut mit dem künstlichen Heidedorf. Ein Shopping-Bummel

Soltau. Die Hausordnung ist klar: Rad fahren, Rollschuh laufen, Skaten und Fotografieren ist verboten. Wer es trotzdem tut, wird vom Wachdienst angesprochen – freundlich, aber bestimmt. Schilder weisen den Weg zum Geldautomaten, zu den Toiletten und zum Kinderspielplatz, Übersichtskarten zeigen an jedem Eingang, wo welches Geschäft zu finden ist. Die Welt des Designer Outlet Centers Soltau ist sauber und geordnet.

Ordentlich aufeinander gestapelt sind auch die Backsteine im Pseudo-Fachwerk der Reetdachhäuser in der imitierten Dorfmitte. In scheinbar locker hingewürfelten Hütten in Heide-Optik gibt es Asia-Pfannen, Prosecco und Latte Macchiato.

Und Uhren. Günstiger als in anderen Geschäften. „Alle meine Freunde kaufen ihren Uhren hier, die sie zu Weihnachten verschenken wollen“, erzählt Marieke Brandt aus Walsrode. Die junge Frau studiert in Jena, hat an diesem Wochenende zwei Kommilitoninnen zu Besuch. Bevor es am Abend auf die Hamburger Reeperbahn gehen soll, wollte Marieke ihren Gästen „die Touristenattraktion“ der Gegend zeigen. Und das ist für sie das Shopping-Center.

In Walsrode selbst, erzählt die Studentin, habe im August vergangenen Jahres auch eine neue Einkaufspassage aufgemacht, ein Investor aus Hamburg habe die hochgezogen. „Da ist aber kaum was los“, erzählt sie, „und viele Läden stehen leer.“ Sie und ihre Freunde kaufen ihre Weihnachtsgeschenke schließlich auch in Soltau.

„Schicke Prozente. Immer“, wirbt das umzäunte Konsumdorf, Markenhersteller bieten ihre Produkte billiger an als anderswo, die Werbung spricht von 30 bis 70 Prozent. Der Selbstversuch zeigt jedoch: Manchmal sind es auch nur fünf Euro, die zum Beispiel ein Wasserkocher weniger kostet als in dem Geschäft, für das man nicht erst über die Autobahn brettern muss.

1,4 Millionen Kunden lassen sich trotzdem von dem Konzept überzeugen, wie viel Umsatz die 80 Geschäfte machen, wird nicht offiziell verraten. Wer sich etwas auskennt in dem Metier, spricht hinter vorgehaltener Hand von 50 Millionen Euro.

Maren Stenzel ist mit ihrer Mutter Silke und Freund Lennart Schmuck von Walsrode ins Gewerbegebiet Soltau Ost gefahren. „Ich wollte eine Winterjacke“, sagt die junge Frau und zeigt auf die dicke Tüte in ihrer Hand. „Und ich bin fündig geworden.“ Und was finden die drei besser hier als in einer echten Stadt, einer echten Fußgängerzone? „Die Auswahl ist groß“, sagt Maren Stenzel. „Es gibt viel geballt an einem Ort.“

Die Probleme einer künstlichen Einkaufswelt sieht Lennart Schmuck aber auch. „Für den Landkreis als Wirtschaftsstandort ist das Center gut“, sagt er. „Für den Einzelhandel in der Gegend ist es ein Tritt vors Schienbein.“ Er vermutet, dass die Hersteller in den ersten Jahren Verluste einkalkulieren. Die Jahre, die es braucht, um die Konkurrenz in der Nähe loszuwerden.

Und Silke Stenzel vergleicht das Shoppingcenter mit dem Kauf per Internet. „Hier finde ich es besser, weil ich die Sachen gleich anprobieren kann. Sonst muss ich alles bestellen und zurückschicken.“

In Soltau selbst, der echten Stadt fünf Kilometer von der künstlichen entfernt, haben die zwei Herrenausstatter in der Marktstraße mittlerweile geschlossen. Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Handel und Gewerbe ist enttäuscht. Die Hoffnung, das neue Shoppingcenter würde mehr Gäste in die Stadt locken, habe sich nicht erfüllt, sagt Hans-Jürgen Lange.

Wer macht schließlich einen Abstecher ins fünf Kilometer entfernte Soltau, nachdem er von Hannover oder Lüneburg in den Konsumtempel gedüst ist, dort zum Krafttanken einen Latte Macchiato getrunken und eine Asia-Pfanne gegessen und den Kofferraum voller Tüten hat?

Das macht wohl kaum jemand.

Dafür kommen sie ein andern Mal wieder und besuchen dann die anderen Touristenattraktionen der Region. Sagt Sylvie Mutschler, Investorin der Mutschler-Gruppe. Investitionsvolumen: 80 Millionen. „Viele unserer Kunden sagen, sie kommen beim nächsten Mal ein bisschen länger und übernachten dann auch in der Region.“

Jetzt ist es eine Filzwerkstatt, die neue Hoffnungen in Soltau sät. Europäische Union und zahlreiche Stiftungen pumpen Fördermittel in das Projekt, auch die Interessengemeinschaft Handel und Gewerbe (IHG) hat 50.000 Euro aus ihrem kleinen Etat geschöpft. Besucher sollen dort den Produktionsprozess miterleben können, auch Gastronomie ist geplant mit Menschen vom sogenannten zweiten Arbeitsmarkt.

„Das machen wir, um Leute in die Stadt zu ziehen“, sagt der IHG-Vorsitzende Hans-Jürgen Lange. Er betreibt ein Sportgeschäft in der Marktstraße, hat vor Jahren zähneknirschend zugestimmt zu den Center-Plänen. Auch aus Hoffnung. Gut zwei Jahre nach Öffnung der Einkaufsstadt fünf Kilometer entfernt muss Lange zweieinhalb seiner Stellen in andere Filialen umschichten, weil sich sein Laden sonst nicht mehr rentieren würde. „Es hat einmal ein Raumordnungsprogramm des Landes gegeben“, sagt der Einzelhändler. „Darin waren Outlet-Center nur in Oberzentren erlaubt. Das müsste heute noch so sein. Solche Zentren gehören in ein Phoenix-Center, eine umgenutzte Fabrikhalle. Aber nicht aufs platte Land.“