Bei der Jahrestagung des Sozialpsychiatrischen Verbunds des Landkreises diskutieren 200 Experten über Möglichkeiten zur Hilfe. Zusammenarbeit soll verbessert werden

Winsen/Seevetal. In der deutschen Bevölkerung sind psychisch kranke Menschen längst keine kleine Minderheit mehr. „Die Zahlen haben eine relevante Größenordnung erreicht“, sagte Peter Schlegel, der Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Landkreises, am Dienstag im Vorfeld der Jahrestagung des Sozialpsychiatrischen Verbundes, dem Mitarbeiter und Experten aus den Hilfseinrichtungen in der Region angehören. Nach Untersuchungen in Rheinland-Pfalz und Bremen haben 1,6 bis drei Millionen Kinder Eltern mit psychischen Störungen, mindestens ein Drittel der Betreuten in der Jugendhilfe haben auffällige Eltern und die Jugendpsychiater vermuten sogar bei der Hälfte der von ihnen untersuchten Kinder Väter und Mütter, die dringend Hilfe benötigten.

Bei der Tagung unter dem Titel „Mama ist so anders“ geht es jetzt darum, dass die Helfer künftig ihren Blick verstärkt auf die gesamte Familie richten sollen. Denn psychisch kranken Menschen helfen oftmals Mitarbeiter von mehreren Einrichtungen. „Die Auswirkungen der Krankheiten betreffen aber die gesamte Familie“, sagte Schlegel. „Die Abstimmung der Helfer untereinander ist nicht festgelegt. Deshalb müssen wir eine Kultur der Zusammenarbeit erreichen“, fasste Sebastian Stierl, der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, die Aufgabe des Verbundes zusammen. So wurde der Kreis der Eingeladenen für die Tagung in diesem Jahr auf Kinder- und Jugendpsychologen sowie das Jugendamt des Kreises ausgedehnt. In der Tagungsstätte Sunderhof in Eddelsen werden am heutigen Mittwoch 200 Teilnehmer erwartet. Dabeisein werden auch ehemalige und aktuelle Patienten.

Insgesamt ist es die neunte Tagung des Verbundes der Einrichtungen im Landkreises. Der Verbund wurde vor gut 15 Jahren gegründet. Organisiert wird die Zusammenarbeit von Schlegel als Geschäftsführer, der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist.

Für die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen werden im Kreis jährlich 45 Millionen Euro aufgewendet. „Der Anteil der psychische Erkrankungen beträgt 10,5 Millionen Euro, wobei der Kreis die Kosten für die ambulante und die teilstationäre Maßnahmen zur Eingliederung und das Land den stationären Teil trägt“, sagte Kreis-Sozialdezernent Reiner Kaminski. In der Summe sind die Behandlungskosten noch nicht enthalten, die die Krankenkassen übernehmen.

Ein Modell um Familien bei Krisen zu stabilisieren, wird derzeit in Cuxhaven, Wolfenbüttel, Vechta und Braunschweig erprobt. Dabei haben sich ehrenamtliche Paten zur Verfügung gestellt, um Familien mit psychischen kranken Mitgliedern zu unterstützen. „Sie unternehmen zum Beispiel einmal in der Woche etwas mit den Kindern oder stehen bereit, wenn Vater oder Mutter ins Krankenhaus müssen“, sagte Schlegel, der vor seinem Dienstantritt zum 1. April in Winsen Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Braunschweig war. Dort wurde zunächst bei Infoabenden, mit Flyern und Ständen um Interessierte für die Patenschaften geworben. Sie durchliefen dann eine Schulung. „Seit 2008 haben sich in der Stadt durchschnittlich zehn Menschen für die Betreuung bereit erklärt“, so Schlegel. Sie erhalten dafür nur eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro im Monat. „Bürger mit einem normalen Alltagsleben können aber eine segensreiche Arbeit verrichten“, sagte Krankenhaus-Direktor Stierl.

Das Patenschaftsmodell gibt es im Kreis Harburg nicht. Über eine Einführung soll nun bei der Tagung diskutiert werden. Dezernent Kaminski sieht Chancen für eine Finanzierung. Denn der Landkreis verhandelt derzeit in einem Modellprojekt mit dem Land darüber, künftig mehr Aufgaben bei der Eingliederung zu übernehmen.