Kita Kinderland ist die einzige im Kreis, in der sich eine Fachkraft ausschließlich um die Sprachentwicklung kümmert

Tostedt. Der zweijährige Marlon zeigt auf das Bild, sagt „Aua“ und schaut prüfend zu Cornelia Riebesehl hoch. Er meint den Becher, der umgefallen ist, so dass Milch auf den Tisch und den Boden tropft. „Der Becher ist umgefallen“, wiederholt die Pädagogin langsam. Direkt hinter ihr streiten sich zwei Kinder um eine Lok. Cornelia Riebesehl lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Geduldig wartet sie, ob noch mehr Impulse von Marlon kommen. Als er auf die Katze zeigt, wiederholt sie: „Ja, eine Katze, die macht miau, miau“.

Man möchte meinen, es sei banal, was die Pädagogin dem Kind erzählt. Aber für die Sprachentwicklung ist es bedeutend. Auch wenn die Interaktion gerade mal wenige Minuten gedauert hat. Denn inzwischen hat Marlon das Buch fallen lassen und sich den aufgebauten Zugschienen hinter Cornelia Riebesehl zugewandt. „Es ist immer nur eine kurze Sektion“, erklärt sie. „Aber die muss in der Sprachbildung auf hohem Niveau ablaufen.“

Das gilt besonders für die Kita Kinderland. Mehr als die Hälfte der Kinder in der Kita haben Eltern, die aus dem Ausland stammen. Es gibt zum Beispiel viele Familien in Tostedt mit russischen Wurzeln, die ihre Kinder von der Kita an der Poststraße betreuen lassen. „In diesen wird oft wenig Deutsch gesprochen“, sagt Burkhardt Kurz, Leiter der Kita. Aber die Sprache ist entscheidend. Das geht aus vielen einschlägigen Untersuchungen, etwa der Pisa-Studie, hervor. Wer die deutsche Sprache beherrscht, ist klar im Vorteil – hat später weniger Probleme in der Schule, kann sich besser mitteilen und im Miteinander bestehen.

Insbesondere, wenn ein Kind in einer Familie aufwächst, in der wenig Deutsch gesprochen wird, ist es nicht selbstverständlich, dass es seinem Alter angemessen sprachlich fit wird. Manche Kinder schleppen sprachliche Schwächen ein Leben lang mit sich herum. Wenn es ganz schlecht läuft, geraten sie dadurch in ihrer Schullaufbahn aufs Abstellgleis und haben weniger Chancen im Beruf. „Wenn Probleme in der Schule auftreten, hängt es oft mit der Sprache zusammen“, sagt Kita-Leiter Burkhardt Kurz.

Deshalb versucht die Kita Kinderland, nachzusteuern und fördert die Kinder so früh wie möglich gezielt in ihrer Sprachentwicklung. Sie ist die einzige im Landkreis Harburg, die vom Bund für das Projekt „Frühe Chancen“ Geld bekommt. Pro Jahr fließen 25.000 Euro an die Kita, die dadurch Cornelia Riebesehl in einer halben Stelle als Sprachexpertin beschäftigen kann. Etwa 400 Millionen Euro investiert die Bundesregierung in rund 4.000 Schwerpunkt-Kitas in Deutschland.

Was Cornelia Riebesehl leistet, geschieht im Kita-Alltag, damit die Krippenkinder nicht aus der Gruppe und der gewohnten Umgebung herausgerissen werden. Spielerisch – eben etwa, indem sie sich ein Bilderbuch mit den Kindern anschaut – tauscht sie sich mit den Kleinen aus, so dass diese stetig ihren Wortschatz erweitern. Die bis zu 30 Krippenkinder werden nicht nach ihrem Förderbedarf klassifiziert. Alle profitieren. „Ich mache kein Sprachförderungsprogramm“, sagt sie.

Im Austausch mit den Kindern, begibt sie sich bewusst auf ihre Ebene. Sie hockt sich hin, hält den Blickkontakt, lässt sie ausreden. Außerdem achtet sie darauf, sich in kurzen Sätzen zu äußern, neu entdeckte Wörter zu wiederholen, langsam und deutlich zu sprechen. Geschlossene Fragen, auf die Kinder nur mit Ja oder Nein antworten können, sind tabu. „Oh, was ist denn da los“, sagt sie oft, wenn sie mit den Kindern eine Seite aufschlägt.

Das sprachliche Niveau der Kinder ist sehr unterschiedlich. Da gibt es die Kleinen, die in der Kita Kinderland zum ersten Mal die deutsche Sprache hören. Andere haben zu Hhause einen Sprachmix aus der Muttersprache ihrer Eltern und Deutsch entwickelt. Auch klassisch zweisprachig aufwachsende Kinder gehören dazu, die beispielsweise eine Spanisch sprechende Mutter haben und einen Vater, der ausschließlich auf Deutsch mit ihnen spricht. Auch da können Lernentwicklungsverzögerungen auftreten. „Bei uns ist es absolut Multi-Kulti“, sagt Riebesehl.

Nicht nur die Arbeit mit den Kindern gehört zu ihren Aufgaben. Sie gibt ihr Fachwissen an die anderen Erzieher weiter, hält Fachvorträge. Zugleich versucht sie, einen direkten Draht zu den Eltern herzustellen. Sie ist auf Elternabenden präsent, ist ansprechbar, wenn es Fragen gibt. Ob ihre Arbeit schon fruchtet, ist schwer messbar. „Im Prinzip ist es ja Prophylaxe. Jedes Kind soll die gleiche Chance bekommen, um nicht abgehängt zu werden“, sagt sie.