Wie das Modell eines Schleppers, der niemals fuhr, die große Freundschaft eines Werftbesitzers mit einem Berliner Feuerwehrmann begründete

Harburg. Dem alten Herrn ist die Emotion anzusehen. Und er drückt sie auch aus. „Ich bin zutiefst gerührt“, sagt Wilhelm Oelkers, der erst kürzlich seinen 92. Geburtstag feierte. Was ihn bewegt, ist eine Schiffstaufe. Nicht, dass er so etwas noch nie erlebt hätte. Immerhin hat der Hamburger Schiffskonstrukteur bis 1988 die Oelkers Werft in Wilhelmsburg geleitet. Doch dieses Schiff trägt seinen Namen. Und es ist ein Modell im Maßstab 1:50, gebaut nach Plänen, die Oelkers entworfen hat. Für einen Hochseeschlepper, der tatsächlich nie seine Werft verließ.

Das Schiff, das da vor seiner Jungfernfahrt auf der Außenmühle mit ein paar Spritzern Sekt von Ehefrau Elsbeth Oelkers getauft wird, wurde in Berlin gebaut. Feuerwehrmann Andreas Woschinski, 43, hat mehr als 1000 Stunden seiner Freizeit im Hobbykeller verbracht und den funktionstüchtigen Hochsee- und Bergungsschlepper im Modellbau-Maßstab gezaubert, der da auf dem Harburger Stadtparksee seine ersten Runden dreht. Er ist zugleich das Produkt einer ungewöhnlichen Freundschaft, die über den Bau des Schleppers gewachsen ist und die es bis zur feierlichen Taufe und Stapellauf nur in Briefen gab. Andreas Woschinski hat Wilhelm und Elsbeth Oelkers erst bei dieser Gelegenheit persönlich kennen gelernt.

Das Ehepaar Oelkers lebt in Heimfeld. Bis 1988 hatte Wilhelm Oelkers die 100 Jahre zuvor von Großvater Johann gegründete Werft am Reiherstieg in Wilhelmsburg geführt. Mehr als 280 Schiffsneubauten hatte der Werftbetrieb während seines Daseins an Auftraggeber abgeliefert. Die 1971 gebaute „Hamburg“ war mit 51 Metern Länge, 60 Tonnen Gewicht und 4600 PS starker Maschine, der größte von Oelkers gebaute Hochsee- und Bergungsschlepper. In gleicher Art waren für die französische Marine die Schlepper Malabar und Tenace gebaut worden.

Und dann war Oelkers Anfang der 1970er Jahre auch zu Verhandlungen bei der Firma Sudoimport nach Moskau eingeladen, weil der Bau von zwei bis drei Hochsee- und Bergungsschleppern in einer noch etwas größeren Bauart gewünscht war – 66 Meter lang und 7200 PS Maschinenleistung. Der Auftrag im Wert von mehr als 40 Millionen Mark für das sogenannte Projekt „P.1044“ wurde indes nie erteilt. Kurze Zeit später erfuhr Oelkers, dass ein russischer Konstrukteur in einer holländischen Werft mit den P.1044-Plänen befasst war. Und in einem Fernsehbeitrag über eine U-Bootbergung bei Murmansk erkannte Oelkers später einen Schlepper, der in der Seitenansicht dem von ihm entwickelten Modell äußerst ähnlich war. „So etwas macht mich auch heute noch betroffen“, sagt Oelkers, „alle unsere Planungsunterlagen waren mit dem Urheberrechtsstempel versehen. Aber eine Beweisführung, wie die Unterlagen in die Hände der anderen Werft gelangen konnten, stellt sich als schwierig heraus.“

Für die P.1044-Schiffe gab es zwar keine detaillierten Baupläne, wohl aber einen Generalplan. Und Modellbauer Andreas Woschinski, dessen Vater bereits ein Modell des Oelkers-Schleppers „Hamburg“ aus dem Baukasten der spanischen Firma Artesania Latina angefertigt hatte, ließ es keine Ruhe, selbst ein Modell des größeren P.1044 zu bauen. Ein schwieriges Unterfangen, denn von dem Schlepper hatte Woschinski lediglich die Seitenansicht in einer Fachzeitschrift gesehen. Einen Baukasten-Hersteller, der das Schiff im Programm hatte, gab es nicht und auch detaillierte Zeichnungen fehlten. Woschinski: „Alle Details zum Bau habe ich dann durch Kontakt zu Wilhelm Oelkers erhalten. Ohne sein Dazutun hätte ich das Ziel nicht erreicht.“ Zahlreiche, höflich formulierte Briefe gingen zwischen Hamburg und Berlin hin und her: „Ein besonderes Anliegen war mir auch, Wilhelm Oelkers seinen Lebenstraum zu erfüllen. Er schrieb mir, dass er den Hochseeschlepper damals gern gebaut und durchs Wasser fahrend gesehen hätte. Nun habe ich ihm zumindest eine kleine Modellbauvariante geben können.“

Die vergangenen vier Wochen hat Woschinski letzten Schliff angelegt. Aber dann, wenige Tage bevor er das Modell zur Taufe und Probefahrt von Berlin nach Hamburg bringen wollte, gab es noch eine böse Überraschung. „Die Steuerelektronik war kaputt und ich musste auf die Schnelle noch Ersatz schaffen, damit der Termin nicht platzt“, sagt Woschinski. Letztendlich hat alles geklappt. Das Ehepaar Wilhelm und Elsbeth Oelkers begrüßte den Freund aus Berlin an der Harburger Autobahn-Ausfahrt bei Neuland und fuhr den Weg voraus zum Bootshaus an der Außenmühle, wo die Bootsstege zur Wintersaison bereits geräumt sind. Beste Voraussetzungen für Taufe und Probefahrt. „Kapitän Wilhelm Oelkers“ steht nun in kyrillischer Schrift am Bug des Schleppers, und an den Schornsteinen prangen Hammer und Sichel – ein Sowjet-Schiff mit deutschem Namen. Das haben die damaligen Verhandlungspartner nun davon.

Von Bord des etwa 1,25 Meter langen Modells lassen sich per Lautsprecher und entsprechendem Knopfdruck nicht nur die Geräusche einer echten Schiffsmaschine wiedergeben, sondern auf Wunsch auch die Russische Nationalhymne. Die Radarantennen drehen sich und die beiden Feuerlösch-Spritzen am Bug schießen einen kräftigen Wasserstrahl in die Luft. Zur Taufe waren auch alte Werftmitarbeiter an der Außenmühle. Maschinenmeister Klaus Matzen assistierte bei der Messung der Zugleistung des Schleppermodells. 1,7 Kilogramm wurde abgelesen. Kurt Kröger, ein weiterer Freund Wilhelm Oelkers, war auch dabei. Er hatte Taufurkunden drucken und unterschreiben lassen. Wilhelm Oelkers: „Ich bin unendlich dankbar. Das Miteinander in der menschlichen Gesellschaft wäre reicher, wenn sich diese Art freundschaftlicher Gesinnung häufiger einstellen würde.“