Mozart an der Mengestraße: Viertklässler sangen und spielten bei der „Zauberflöte“ zusammen mit den Profis

Freitagmorgen, viertel nach neun in der Bonifatiusstraße. Die 4b der katholischen Schule hat Musikunterricht. Es ist die zweite Stunde, einige Kinder haben noch den in der ersten Stunde aufgestauten Bewegungsdrang abzuzappeln, der Weg zum Musikraum hat da nicht gereicht. Lehrerin Annika Heitmann braucht zwei Minuten, um die Aufmerksamkeit aller zu haben. Es gibt aber auch wirklich Grund, aufgeregt zu sein: Heute ist die letzte Probe vor dem großen Tag. Deshalb ist Besuch da: Opernsänger Paul Schmolke und seine Frau Ursula geben den Kleinen den letzten Schliff: Morgen sind sie der Chor und die Statisten in der „Zauberflöte“.

Das Ehepaar Schmolke ist routiniert. Seit die beiden Berufsmusiker vor zwölf Jahren in den Ruhestand gingen, arbeiten sie mit Schulkindern und kindgerechten Opernadaptionen. Neben der gekürzten „Zauberflöte“ haben sie derzeit auch Humperdincks „Hänsel und Gretel“ im Repertoire. „Uns ist es wichtig, Kindern klassische Musik nahezubringen“, sagt Paul Schmolke.

Die Kinder in Wilhelmsburg haben da keine Berührungsängste, im Gegenteil: Sobald Ursula Schmolke auf dem Klavier die ersten Tonleitern spielt, auf die die Kleinen sich einsingen, ändert sich die Atmosphäre: Konzentriert machen alle mit, aus Klassenkaspern werden Führungspersönlichkeiten, schüchterne Kinder blühen auf. „Es klinget so herrlich“, singen sie. Am Schluss der Stunde ist noch vieles unklar, aber das wird sich tags darauf klären: Vor der Aufführung im Bürgerhaus soll es noch zwei Durchlaufproben mit dem Erwachsenen-Ensemble geben.

Sonnabendmittag um zwei. im Bürgerhaus. Britney hat ihr weißes T-Shirt vergessen. Ersatz wird gefunden, zwar zu groß für das kleine Mädchen, aber das zählt jetzt nicht mehr. Einsätze und Stichworte müssen abgesprochen werden. Es zeichnet sich ab, dass hier und da auf Lücke gesetzt und improvisiert werden muss. Keine Aufregung, höchstens Seufzer. Das ist Alltag für erprobte Mimen. Am Ende haut es immer hin.

Sonnabendnachmittag um viertel vor vier füllt sich das Bürgerhaus. Die Chor-Kinder haben ihren eigenen Sitzblock an der Seite, aber auf den Stühlen hält es sie gerade nicht. Mit ihren weißen T-Shirts flitzen sie durch Saal und Foyer, setzen sich kurz und sausen wieder los. Beim dritten Klingeln sitzen alle – bis sie mitbekommen, das jetzt die letzte Gelegenheit ist, nochmal auf Klo zu gehen. Die Hälfte ist plötzlich verschwunden, aber rechtzeitig wieder da. Domenick ist aufgeregt: „Ich will, dass es losgeht, aber meine Mutter ist noch nicht da“, sagt der Zehnjährige. Ein Dilemma. Seine Sitznachbarin Jill ist ganz ruhig. „Ich freue mich darauf, dass es gleich anfängt. Wir haben dafür ja zwei Monate geübt“, sagt sie.

Sonnabendnachmittag um vier. Das Saallicht geht aus, der Vorhang hebt sich. Mozart an der Mengestraße, klein instrumentiert: Im Orchestergraben spielen Pauke, Flügel und Flöte, Ursula Schmolke dirigiert. Alle Eltern sind jetzt da, aber nicht alle sind auf das eingestellt, was jetzt kommt. Vielleicht hätten sie auch ein wenig mit den Schmolkes proben sollen. Einige quasseln ungerührt weiter, ein bäuchiger Papa, Typ halbglatziger Canpingplatztyrann, fläzt sich auf dem Saalstuhl wie auf einem Vorzeltfaltsessel. Schon, dass unter der Schlange, die den Tamino in der ersten Szene bedroht, Strumpfhosenbeine zu sehen sind, bringt ihn dazu, nichts mehr ernst zu nehmen und sich in Selbstgesprächen zu verlieren. Als die Königin der Nacht in ihrer Arie die besonders hohen Töne erreicht, prustet er lachend durch den Saal. Welchem Kind dies nun persönlich peinlich ist lässt sich nicht erkennen. Die ganze Klasse guckt pikiert.

Sonnabendabend, halb sechs. Zur Pause leert sich der Saal. Der Kinderchor stärkt sich mit Cola und Croissants. Domenick ist nicht mehr aufgeregt. „Es läuft doch gut“, sagt er. Nach er Pause ist der Saal nicht mehr ganz so voll wie davor. Die Quasselstrippen sind weg, der Klappstuhldiktator auch.

Dem Ensemble des Hamburger Mozarteums und die Viertklässler spielen nun vor durchweg interessierten Ohren. Die Kinder haben noch zwei große Auftritte, während derer sich die Wirrungen der Handlung in Wohlgefallen auflösen. Am Ende dürfen sie die Heliumballons aus der Schlussszene mit nach Hause nehmen. Und die Erfahrung, auf der großen Bühne etwas Schwieriges geschafft zu haben. Paul Schmolke ist zufrieden. „Es ist alles gut gelaufen, auch mit den Kindern“, sagt er. „Nur etwas voller hätte es sein können. Man kann in Stadtteilen wie diesen ja nicht viel Eintritt nehmen. So kommt höchstens die Saalmiete zusammen.“