Harburger Gymnasiasten gingen für einen Tag auf die Straße – um Spenden zu sammeln und auf die große Not zahlloser Gleichaltriger hinzuweisen

Harburg. Wenn die Temperaturen niedriger werden und die kalte Jahreszeit beginnt, haben es Straßenkinder besonders schwer. Beschimpft, geschlagen und verjagt leben sie am Rande der Gesellschaft und haben als Rückzugsort – nach stundenlanger Arbeit auf der Straße – meist nur ein Stück Pappe in einer Straßennische. Weltweit leben mehr als 100 Millionen Kinder und Jugendliche auf der Straße. Ohne eigenes Zuhause und ohne Chance auf Schulbildung.

Anlässlich des Jahrestages der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention machten sich am Donnerstag 90 Schüler des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums auf den Weg in die Hamburger Innenstadt, um hier einen Tag lang Spenden zu sammeln. „Straßenkind für einen Tag“ nennt sich diese deutschlandweite Aktion des Kinderhilfswerkes „terre des hommes“. Doch wie fühlen sich Schüler, die plötzlich als Bittsteller dastehen?

Am frühen Morgen bereits geht es, bepackt mit selbst gebasteltem Bauchladen und Schuhputzstand, per S-Bahn bis zum Hauptbahnhof. Ziel ist die bereits weihnachtlich funkelnde Mönckebergstraße, in der sich an diesem Tag auch der Infostand der terre-des-hommes-Gruppe Hamburg befindet. Dort werden die Bauchläden mit Luftballons, Taschentüchern und Streichhölzern aufgefüllt. Neben den kleinen Geschenken, die von terre des hommes gesponsert wurden, haben die Kinder Selbstgemachtes mitgebracht. Sie bieten leckere Kekse, bunte Nadelkissen sowie liebevoll gebastelte Weihnachtsengel und Hunde aus Papier an.

Gegen 10 Uhr gibt Anke Hoyer, Religionslehrerin an der Schule, den Startschuss. Der Schuhputzstand von Thore Sengerhoff, Henrik Petermann und Niclas Fink wird aufgebaut, die einzelnen Sammelgebiete eingeteilt. In Gruppen von drei bis vier Schülern gehen die Kinder an die Arbeit. Schuhe putzen. Und Geld sammeln. Infoblätter verteilen, um den Grund der Aktion zu verdeutlichen. Anfangs noch etwas zögerlich, nach und nach mit immer mehr Selbstbewusstsein gehen die Jungen und Mädchen mit ihren Spendendosen und Bauchläden auf die Passanten zu. Neele Weiss und ihre zwei Freundinnen haben sich etwas Besonders einfallen lassen. Auf der Blockflöte spielen sie Weihnachtslieder. Sie singen auch, während Stella Block zum Schuheputzen bereit steht und Catharina Hoffmann die dazugehörigen Flyer verteilt.

Für die jungen Mädchen ist es Ehrensache, ihren Vormittag als Straßenkind zu verbringen. „Die Kinder brauchen dringend Hilfe, da sie nichts zu essen und auch keine Eltern mehr haben“, sagt Catharina mit gesenkter Stimme. Nach wenigen Minuten in der Kälte – das erste Erfolgserlebnis: Die Schuhputzgruppe um Thore Sengerhoff hat ihren ersten Kunden. Und auch der Bauchladen der Mädels von gegenüber ist umringt von Interessierten. Die Frage „Wie viel habt ihr schon?“ ist eindeutig die meist gestellte zwischen den Gruppen – und zugleich Ansporn, noch mehr als die Mitschüler zu sammeln.

Leider gibt es auch weniger schöne Momente. Leonie Krecklow und Lea Rathas berichten: „Ein Mann, der am Straßenrand saß, wollte uns die Sammeldose wegnehmen. Er ist aufgestanden und hat uns angefasst. Zum Glück kam ein zweiter Mann und hat ihn weggeschickt.“ Ein Schockmoment, der jedoch mit dem nächsten Spenderschon fast wieder vergessen ist. Dass es zu unangenehmen Begegnungen kommen könnte, war den Schülern klar: Im Klassenraum hatten sie über die Risiken gesprochen. „Man muss vorsichtig sein, gerade wenn die Kinder laut erzählen, wie voll ihre Dosen schon sind“, sagt Religionslehrerin Hoyer.

Acht Jahre lang gehen die jeweiligen Fünftklässler des Gymnasiums nun schon sammeln. Fest im Lehrplan integriert, werden die Klassen über die Situation der Straßenkinder informiert, Berührungspunkte geschaffen. „Besonders ist, dass wir dieses Jahr auch selber zwei Kinder aus Afghanistan dabei haben, die mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen sind. In Afghanistan hätte die Tochter wohl kein Recht auf Schulbildung gehabt“, sagt Anke Hoyer.

Unterstützung bekommen die Kinder von den freiwilligen Helfern der Uni-Gruppe Hamburg, die seit eineinhalb Jahren Aktionen mit dem Schwerpunktthema Kinderrechte organisiert und neue Mitglieder sucht. Die Gruppe setzt sich aus Studenten von verschiedenen Unis zusammen. Die Mitglieder passen heute mit auf die Kinder auf – damit auch keiner im Innenstadt-Trubel verloren geht. Zudem sind sie gemeinsam mit den Organisatoren hinter dem terre-des-hommes-Stand vertreten. Sie verkaufen selbst gestrickte Socken. Die Einnahmen gehen an ehemalige Kindersoldaten.

Nach drei Stunden auf der Straße ist es geschafft. Die Spendendosen sind voll. 90 strahlende, stolze Kinderaugen, ein spannender Tag, abseits der tristen Klassenzimmer: Das ist das erste Resümee der – auch in diesem Jahr erfolgreichen – Aktion.

Später am Tag wird Geld gezählt. Anke Hoyer und die Schüler haben 449,81 Euro eingenommen. Auch bei den anderen beiden Gruppen wird es nicht weniger sein. Ein späterer Besuch der Arbeitsgruppe von terre des homme Hamburg wird die Kinder darüber aufklären, wo genau das von ihnen gesammelte Geld abgeblieben ist.