Zeitzeugen erinnerten im Rieckhof an den Bombenangriff vom 25. Oktober 1944 – den schwersten, den Harburg im Krieg erlebte

Harburg. „Als mittags der Alarm kam, war bestes Wetter mit blauem Himmel und Sonnenschein“, erinnert sich Hans Bistry an den 25. Oktober 1944. „als wir zweieinhalb Stunden später aus dem Bunker krochen, war es dunkel wie in der Nacht. Rauch und Staub verschluckten die Sonne.“

40 Bombenangriffe hatten die Alliierten im Zweiten Weltkrieg auf Harburg geflogen. Die meisten galten dem Harburger Hafen und der Industrie. Dieser war anders. Zwar wurden auch die Phoenix-Werke getroffen, aber am schlimmsten traf es die Wohngebiete. 800 amerikanische Flugzeuge warfen 7500 Bomben auf Harburg ab. Es gab mehr als 700 Tote. Mehr als 23.000 Harburger wurden obdachlos.

Am Donnerstag hatte die Geschichtswerkstatt Harburg Zeitzeugen in den Rieckhof eingeladen, um von dem Bombentag zu berichten. Hans Bistry war einer von ihnen, ebenso wie Anja Klüver erlebte er den Nachmittag im Bunker. Hans-Reimer Dethleffs und Peter Haffke hingegen durften bei Bombenalarm keinen Schutz suchen – im Gegenteil: Als junge Flaksoldaten mussten sie bei jedem Alarm raus.

Peter Haffke wurde mit 16 Jahren aus dem Unterricht am Lüneburger Johanneum an die Flak nach Harburg abkommandiert. Statt auf der Schulbank saß er nun in einer Holzbaracke auf der Pionierinsel, neben der Harburger Eisenbahnbrücke über die Süderelbe. Sein einziger Schutz gegen Fliegerbomben: Ein Stahlhelm. Eigentlich sollten Haffke und seine Kameraden in der Stellung dort weiter unterrichtet werden, aber die Alarme verhinderten das meistens.

Zwei Wochen vor dem Angriff kamen zwei F4-Fernaufklärer im Tiefflug

„Weil ich einen Jugend-Jagdschein hatte, machte man mich gleich zum Richtschützen", erzählte er. Viel konnte er allerdings nicht treffen. Das Geschütz, das er und eine Mannschaft aus verwundeten Frontveteranen und weiteren Jugendlichen bedienten, war eine Zwei-Zentimeter-Flak, maximale Schusshöhe 2000 Meter – auch wenn diese vom Hersteller höher angegeben war. Die Bomber flogen allerdings mindestens 5000 Meter hoch.

Mindestens einmal jedoch traf Haffke und das rettete ihm später das Leben, ist er sich sicher: „Zwei Wochen vor dem Angriff kamen zwei amerikanische F4-Fernaufklärer im Tiefflug die Elbe herunter“, sagte er den Zuhörern, „Einer drehte ab und flog eine Kurve über Harburg. Der andere machte eine Kurve über uns. Den habe ich in Brand geschossen. Er ist bei Stade heruntergegangen. Als Harburg dann angegriffen wurde, fanden dort alle Bomben ihr Ziel. Aber die Bomben, die unserer Flak galten, trafen nicht. Die letzte Bombe fiel 20 Meter vor unserer Stellung. Ich bin mir sicher, dass sie getroffen hätten, hätte der Aufklärer die Bilder mit nach England gebracht.“

In Haffkes Auftrag hatte Klaus Barnick von der Geschichtswerkstatt nachgeforscht, was mit dem Piloten passiert sei. Der Flieger war mit der Maschine auf einem Acker notgelandet und gefangen genommen worden. „Heute bin ich froh, dass er überlebt hat", sagte Haffke.

Anja Klüver fällt es immer noch schwer, über ihre Erlebnisse vom 25. Oktober zu sprechen. Ihr Vater war damals auf Heimaturlaub in Harburg. „Als wir in den Keller mussten, hatte im Schutzraum nebenan eine Frau Schwierigkeiten. Mein Vater und andere Männer halfen“, erinnerte sie sich. In diesem Moment erhielt das Haus einen Volltreffer. „Meine Mutter hatte sich über mich geworfen. Nur so blieb ich unverletzt. Auf meiner Mutter lag eine große Betonplatte, die ich nur mit einer weiteren Frau zusammen so anheben konnte, dass sich meine Mutter befreien konnte. Dann sind wir durch ein schmales Fenster aus dem Bunker gekrochen. Das Fenster war so schmal, dass wir die andere Frau regelrecht herausdrehen mussten. Meine Mutter hat dann nach meinem Vater gesucht, aber sie hat ihn nicht gefunden.“ Hier musste Frau Klüver abbrechen. Sie konnte nicht mehr sprechen.

Hans Bistry erzählt weiter. Er saß als Fünfjähriger im Luftschutzraum. Auch sein Haus an der Kreuzsstraße – heute Compeweg – erhielt einen Volltreffer. „Wir hörten die Einschläge auf uns zukommen, dann gab es einen ganz lauten Knall und alles war dunkel und still“, berichtete er. „Der Ausgang war verschüttet. Etwas später wurden wir mit der Spitzhacke von außen befreit. In der Kreuzstraße stand kaum noch ein Haus.“

Bistrys Vater war ein ranghoher Berufsfeuerwehrmann und deshalb erstens nicht im Kriegsdienst und zweitens schnell zur Stelle. „Er hat aus unserer Wohnung etwas herausgeholt“, sagt Hans Bistry, „nur einen Gegenstand: Die Nähmaschine meiner Mutter. ‚Dann habt ihr immer was zu essen’, hat er gesagt.

An der Kreuzstraße stand nach dem Angriff kaum noch ein Haus

Bistrys gingen mit dem Notkoffer und der Nähmaschine in der Hand zur Feuerwache an der Hastedtstraße, doch auch die war getroffen worden. So blieben nur die Verwandten in Naumburg an der Saale. „Am Bahnhof fuhren aber keine Züge“, berichtete Bistry. „Wir haben im Wartesaal übernachtet und sind am nächsten Tag nachmittags weggekommen.“ Hans-Reimer Dethleffs’ Flak-Stellung befand sich in Eißendorf. Er bediente das Kommandogerät.

„Am Tag des Angriffs war ich Essensholer“, erinnerte er sich. „Ich kam mit den Kübeln voll heißer Suppe die Straße herauf, als der Alarm losging. Eine halbe Stunde später fielen die ersten Bomben. „Wir konnten von unserer Stellung aus die ganze Zerstörung sehen. Am schlimmsten war aber der riesige Tross von Obdachlosen und Verletzten der danach den Ehestorfer Weg hochkam. Die Prozession riss gar nicht ab.“

Nach dem Krieg ging Dethleffs nach Eidelstedt zurück, woher er ursprünglich stammte. „Aber 1947 lernte ich in der Tanzstunde ein Mädchen kennen und fragte, woher sie kam. Sie sagte Harburg und ich fragte wo. Als sie Eißendorf sagte, meinte ich, das sei aber ein Zufall, da war ich ja stationiert – und nicht lange später wohnte ich wieder in Eißendorf. Bis heute."