In Wilhelmsburg leben viele Menschen aus Bulgarien – meist ohne Krankenversicherung und unterbezahlt

Wilhelmsburg. Über der Not bei der Unterbringung von Flüchtlingen gerät eine Bevölkerungsgruppe in Hamburg in Vergessenheit, deren Lebensverhältnisse oft prekär sind: die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Gut 15 Einrichtungen, Initiativen und Vereine werden am Sonnabend, 22. November, bei einem Beratungstag in Wilhelmsburg versuchen, möglichst viele Menschen aus Bulgarien und Rumänien über ihre Rechte aufzuklären. Denn viele Zuwanderer aus diesen beiden EU-Staaten stehen ohne Krankenversicherung da und werden von privaten Vermietern schamlos ausgebeutet.

Das Wilhelmsburger Reiherstiegviertel als Ort der Hilfskampagne ist nicht zufällig gewählt. Auf den Elbinseln lebt eine starke Kolonie bulgarischer Zuwanderer. Hier haben mittlerweile bulgarische Lebensmittelgeschäfte eröffnet. Von den etwa 6500 Bulgaren in Hamburg leben offiziell allein 1350 in Wilhelmsburg.

Die tatsächliche Anzahl dürfte deutlich größer sein, denn nicht wenige leben ohne bei den Behörden gemeldet zu sein als Untermieter von Untermietern, weil günstiger Wohnraum fehlt. „Manche schlafen sogar in Autos“, sagt Melanie Stello. Kaum jemand dürfte mit den prekären Lebensverhältnissen der Menschen aus Bulgarien in Wilhelmsburg besser vertraut sein als die Leiterin des Nachbarschaftstreffs westend im Vogelhüttendeich. Denn die Einrichtung der Stadtmission Hamburg bietet eine Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung. Wer hier zuhört, erfährt das ganze Elend.

Vor eineinhalb Jahren hat die Anzahl der Patienten in der „Migrantenmedizin westend“ sprunghaft zugenommen, sagt Melanie Stello. Kamen früher bis zu vier Patienten pro Woche, seien es jetzt mehr als 20 Menschen ohne Krankenversicherung, die jeden Dienstag Hilfe suchen. Etwa 80 Prozent seien Menschen aus Bulgarien, meist Angehörige der türkischen Minderheit, die auch im eigenen Land einen schweren Stand hat.

Probleme mit den Gelenken, Bluthochdruck, hartnäckig offene Wunden, die nicht verheilen – das sind häufige Krankheitsbilder, mit denen Menschen aus Bulgarien zu den Ärzten ins westend kommen. Sie sind nicht krankenversichert. Diese Patienten hätten keine 160 Euro monatlich, um Mitglied einer Kasse zu werden, erklärt Melanie Stello. Selbst mit der Krankenversicherung aus ihrem Heimatland, die eigentlich in der gesamten Europäischen Union gelten sollte, kommen Bulgaren in Deutschland meist nicht weit: Hiesige Ärzte fürchten, nicht bezahlt zu werden, weil die bulgarischen Krankenkassen bei den deutschen Kassen hohe Schulden angehäuft haben.

Die hiesige Wirtschaft profitiert offenbar von den Bulgaren. Nicht selten arbeiten die Zuwanderer aus Südosteuropa schwarz als Teil der Schattenwirtschaft. Sie können es sich nicht erlauben, wählerisch zu sein. Weil ihnen die berufliche Qualifikation fehlt, aber auch, weil sie ihre Rechte nicht kennen. Männer in Handwerkerkleidung stehen früh morgen auf dem sogenannten „Arbeiterstrich“ am Stübenplatz und hoffen, einen Tag lang Arbeit als Lagerarbeiter oder beim Verladen von Containern zu erhalten. „Viele sind froh, dass sie 30 Euro für einen Tag Schufterei bekommen“, sagt Melanie Stello.

Nichts sei für einen Bulgaren schlimmer, als der Familie zu Hause kein Geld schicken zu können. Ausdruck dessen im Wilhelmsburger Stadtbild sind die vielen Stationen des Bargeldtransferdienstleisters Western Union, vor denen Bulgaren nicht selten in Gruppen stehen. Bulgarische Frauen arbeiten als Putzkraft oder Zimmermädchen in Hamburger Hotels und Pensionen– für drei bis fünf Euro die Stunde.

Auch Borislava Mihaylova hat die Erfahrung gemacht, zwölf Stunden am Tag für nur fünf Euro die Stunde gearbeitet zu haben. Dabei hat die 33-Jährige ein abgeschlossenes Hochschulstudium, hat Sprachen studiert. Sie lebt in Wilhelmsburg mit ihrem deutschen Freund und sucht Arbeit in einem Reisebüro oder als Stewardess.

Offenbar ist allein ihr bulgarischer Name ein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt, jedenfalls empfindet das Borislava Mihaylova so: Jedes Mal, wenn sie ihren Namen am Telefon nenne, springe die vorerst freundliche Stimmung um und sie erfahre Ablehnung, berichtet die Bulgarin.

Skrupellose Vermieter in Wilhelmsburg nutzen die Wohnungsnot in Hamburg aus. Ein Paar mit einem Kind aus Bulgarien lebe in einem Zimmer einer Zwei-Zimmerwohnung für 560 Euro im Monat, weiß Melanie Stello. Diese Konditionen eines türkischen Vermieters gelten noch nicht als die Schlechtesten. Schlimmer noch: Vermieter würden 300 Euro für ein Schreiben verlangen, das die Bulgaren dann der Meldebehörde vorlegen können.

Um die Lebenschancen der Menschen aus Bulgarien in Wilhelmsburg zu verbessern, bietet Katy Thompson im Westend kostenlose Deutschkurse an. Andere Anbieter verlangen 120 Euro oder mehr. Die Amerikanerin bringt Bulgaren und anderen Zuwanderern ein Basiswissen Deutsch bei. Katy Thompson begleitet Familien zu Schulen, damit auch Kinder von Eltern ohne gemeldeten Wohnsitz in den Unterricht dürfen – zunehmend mit Erfolg.

Warum trotz allem Menschen aus Bulgarien immer noch nach Hamburg kommen, erklärt Melanie Stello so: „Weil sie hier wenigstens noch Hoffnung haben, dass es besser werden könnte.“

Informations- und Beratungstag für Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien; Sonnabend, 22. November, 13 bis 17 Uhr, Sprach- und Bewegungszentrum in Wilhelmsburg, Rotenhäuser Damm 40.