Je länger man sich die Bilder von Michael Conrads im Kunsthaus ansieht, desto mehr Verwirrendes entdeckt man

Jesteburg. Michael Conrads ist leicht angeschlagen – eine dicke Erkältung hat ihn fest im Griff. Aber, es nützt alles nicht, jetzt steht er vor den weißen Wänden im Kunsthaus in Jesteburg und grübelt über die Hängung seiner Bilder für die Ausstellung „No paint no gain“. Heute Abend ist ab 19 Uhr die Vernissage. Aus seinem Atelier in Berlin Treptow hat der 36-Jährige Arbeiten aus zwei verschiedenen Schaffensphasen mitgebracht. Es sind viel zu viele, jetzt muss er entscheiden, was die Kunstbesucher zu sehen bekommen. Es ist auf jeden Fall eine großformatige Wandarbeit dabei, weiterhin ist Platz für neun mittelgroße Bilder.

Michael Conrads’ Thema ist die Erzeugung von Mehrdimensionalität. Illusionistische Treppenkonstruktionen, vektorisierte Eiskristalle, antike Fußbodenornamente – klar definierte geometrische Formen bilden die Basis seiner Bilder. Wie er die starren Formen bearbeitet, aufbricht und neue Sichtweisen erzeugt, zeigen zwei verschiedene Serien, die im Kunsthaus zu sehen sind. Genau gesetzte Farbe und isometrische Strukturen kippen seine Bilder ins scheinbar Räumliche und erinnern an die surrealen Grafiken des niederländischen Künstlers MC Escher. Seine „Zygoten“-Serie lädt ebenso zur längeren Betrachtung wie die jüngeren „Demanufacture“-Arbeiten.

Die „Zygoten“ bauen alle auf der gleichen Form auf. Auf den ersten Blick erinnern sie an die runden Kalender der Inka. Ein großer Kreis wird gefüllt mit Rauten, Dreiecken und Parallelogrammen. Sie sorgen dafür, das die flache Leinwand räumlich wird. Treppenformen verstricken sich in Widersprüche, scheinbar flache Muster prallen auf Formen, die eine Dreidimensionalität heraufbeschwören. Diese Bilder hat Conrads mit der Hand gearbeitet. Er malt mit Öl und montiert dazu grob gewebte Stofffetzen und aufgerissene Pappe, die ihre wellige Struktur preisgibt, trägt zähen Bitumen auf und gestaltet mit Schellack. Großes Vorbild für diese Serie ist eine Arbeit des Malers und Objektkünstlers Manfred Kuttner, der zusammen mit Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter 1963 den „Kapitalistischen Realismus“ begründete. Seine geometrisch gestalteten Kreisbilder nahm Conrads als Vorlage, um daraus seine eigene Interpretation zu schaffen und weiter zu entwickeln. Insgesamt 24 Bilder umfassen inzwischen die „Zygoten“-Serie, fünf hat Conrads für Jesteburger Ausstellung ausgewählt. Seine neusten Arbeiten entwickelte er nur bei der Planung als Skizze mit der Hand, die Ausführung entstand am Computer.

Auch die „Demanufacture“-Arbeiten befassen sich zunächst mit der strengen geometrischen Form, hier setzt Conrads gleichseitige Dreiecke an- und manchmal auch übereinander. Ausgefüllt sind sie mit Formen, die sich auf Letrasetfolien wiederfinden. Diese Folien wurden bis in die 80er Jahre hinein vor allem von Grafikdesignern, Ingenieurbüros oder Layoutern verwendet und in der Zeit vor dem Gestalten am Computer eine Möglichkeit boten, exakt aussehende Schriften und Formen auf Flächen aufzubringen. Auf einer Reise nach Mexiko entdeckte Conrads solche Folien in einem Eckladen. „Ein halbes Jahr lang lagen die bei mir rum. Irgendwann war es für mich naheliegend, sie mit meinen linear-konstruktiven Zeichnungen zusammenzubringen.“ Das Ergebnis ist spannend. Auf der einen Seite stehen die exakten geometrischen Formen, die Conrads mit Punkten, Wellen und Linien füllt. Der Effekt: eine Assoziation mit den comicartigen Bilder eines Roy Lichtenstein und anderen Vertretern der Op- und Pop-Art, oder auch mit den ersten Grafiken der Bauhauskünstler. Aber Conrads bricht das Präzise auf, seine Bilder wirken seltsam unfertig: mitten in der Arbeit bricht die Form ab, verschwindet in einem Schimmer und hinterlässt zerlaufende Farbe.

Der Ausstellungsraum mit seinem weißen Kubus ist perfekt für Conrads Bilder. Er kannte das Kunsthaus noch aus den Tagen, als es mehr ein Café und weniger ein Ausstellungshaus war. Nachdem die neue künstlerische Leiterin Isa Maschewski,das Interieur komplett umgemodelt hatte, konnte er sich vorstellen, seine Arbeiten hier zu zeigen: „Irgendwann wusste ich, jetzt ist es Zeit für mich“.

„No paint no gain“, bis zum 11. Januar im Kunsthaus Jesteburg, Hauptstraße 37, donnerstags und freitags 15 bis 18.30 Uhr, sonnabends und sonntags 14 bis 18 Uhr. Heute Abend pendelt ein Shuttlebus, zur Verfügung gestellt von der Jesteburger Waldklinik, ab 18.30 Uhr zwischen dem Harburger Bahnhof und dem Kunsthaus. Wer mitfahren möchte, meldet sich an unter presse@kunsthaus-jesteburg.de