Ob historisch oder modern: Die Harburger Puppendoktorin Marlies August repariert und möbelt jedes Modell wieder auf

Harburg. Die Küche von Marlies August ist nicht so, wie andere Küchen. Marlies Augusts Küche ist ein Operationssaal! Zwar glänzen Gläser in einer Vitrine, und es drehen sich auch die Töpfe im Schrankkarussell, aber sonst ist jede Schublade, jedes Fach, ja sogar die Gefrierkombination und der Kühlschrank reserviert für das Arbeitsmaterial der Hausherrin. Marlies August ist Puppendoktorin. Garne und bunte Stoffe aber auch grobes Leinen und farblose Baumwolle liegen gut sortiert in großen Blechdosen und werden von Marlies August mit Schere, Nadel und Faden zu bauschigen Kleidchen, Matrosenhemden und Schottenröcken verarbeitet.

Macht sie in ihrer rustikalen Einbauküche den Gefrierschrank auf, findet man nicht etwa tiefgekühltes Gemüse oder Fleisch, sondern mehrere Nähmaschinen, mit denen die Kleider für die Puppen genäht werden. Eine Schublade weiter liegt ein großer Setzkasten, in den Fächern liegen Puppenaugen in den verschiedensten Größen und Farben. „Die Blondinen bekommen blaue Augen, für die Rothaarigen und Brünetten habe ich grüne und braune Augen da“, sagt die 73-Jährige. Eine weitere Kiste ist voller Plastiktütchen, in jeder sind paarweise Schuhe von winzig klein bis zu denen für die ganz großen Zierpuppen.

Wenn es um Schuhe für Puppen geht, ist Marlies August immer auf der Jagd: „Man kann 200 Paar da haben und trotzdem sind nicht die richtigen dabei, das ist wie im Schuhgeschäft“, lacht die Puppendoktorin.

Auf der Anrichte steht eine Jungenpuppe, die gerade als Weihnachtsmann dekoriert wird. Den roten Mantel trägt sie schon, nur der weiße Rauschebart muss noch richtig befestigt werden. Deneben liegt ein blondes Mädchen, mit seinem weißen langen Kleid mit den goldenen Verzierungen sieht es aus wie ein kleiner Engel. Wenn beide Puppen fertig sind, kommen sie bei Marlies August ins Wohnzimmerfenster. Wenn Passanten eine der beiden gefällt, können sie klingeln und bei Gefallen kaufen. Übers Jahr stehen bei ihr immer andere Puppen im Fenster, gekleidet sind sie immer hübsch und passend zur Jahreszeit.

Die Kunden der Puppendoktorin sind vor allem Sammler. Aber es sind nicht etwa nur Frauen, wie man vermuten sollte. Die männliche Kundschaft lässt sich von ihr totgeliebte und zerfledderte Kuscheltiere wieder aufmöbeln. „Viele bleiben ihrem ersten Schmusehasen oder Teddybär ein Leben lang treu und versuchen alles, um sie zu retten, wenn sie sich langsam auflösen“, sagt Marlies August.

Kürzlich kam ein älterer Herr vorbei, für dessen Schmusetier sie bei aller Erfahrung und Liebe nichts mehr tun konnte. Marlies August schlug vor, die Reste in eine schöne Kiste zu legen, dann könne der Mann sein ehemaliges Kuscheltier wenigstens noch ansehen.

„Das fand seine Lebensgefährtin aber nicht so toll, sie hatte den Gefährten aus den Jugendzeiten ihres Freundes schon jahrelang auf dem Nachtisch gehabt und war eigentlich froh, dass er zu kaputt zum Reparieren war“, schmunzelt die Puppendoktorin. Marlies August bietet ihren Kunden die Runderneuerung ihrer Puppen an. Vom Kissen bis zum Kleid, vom verlorenen Bein bis zum gesplitterten Plastik macht sie alles selbst, repariert, näht, klebt und und dekoriert. Die Vorlagen und Schnittmuster für Mützen, Kleider und Hosen sucht sie sich aus alten Büchern zusammen, denn für die Puppenliebhaberin muss eine Puppe aus einer bestimmten Zeit auch passende Kleidung und Frisuren tragen. „Alte Puppen brauchen altes Material“, findet die Bastlerin. Vieles, vor allem Omas Leinen- und bestickte Baumwollstoffe für die historischen Exemplare findet sie auf Flohmärkten. Außerdem gibt es noch zwei Geschäfte in Buchholz und Lüneburg, bei denen sie sich eindecken kann, Haare und Schuhe bestellt sie bei einem Spezialisten in Thüringen.

An ihre erste eigene Puppe kann sich Marlies August noch gut erinnern. „Es war Krieg und für so etwas war kein Geld da. Da hat meine Mutter eine Puppe aus alten Strümpfen selbst gemacht. Wir haben improvisiert, mein erste Puppenwagen war eine alte Kartoffelkiste“, erinnert sich die 73-Jährige.

Als sie zwölf Jahre alt war, bekam Marlies August dann endlich die heißersehnte richtige Puppe. „Sie hatte lange dunkle Haare und ein Rüschenkleid – und ich hatte sie natürlich schon lange vor Weihnachten entdeckt“. Die Liebe und den Spaß an Puppen entdeckte Marlies August aber erst viel später, nachdem sie krankheitsbedingt in Rente gehen musste. Da war Zeit für ein Hobby. Zunächst bastelte und dekorierte sie Kränze, auf einer Kunsthandwerkerausstellung fiel ihr auf, dass die auf alt gemachten Puppen dort überhaupt nicht authentisch waren. „Die waren aus Plastik, hatten Kunsthaare und das ganze Zubehör stimmte nicht.“

Also versuchte sie sich selbst an der Herstellung von historischen Puppen. Die besorgte sich alte Gussformen und machte sich ans Werk. Ähnlich wie Porzellangeschirr werden auch Köpfe, Hände und Füße in Gipsformen gegossen und zweimal auf hohen Temperaturen gebrannt. „Mein Ofen stand in der Waschküche, wenn der an war, hat er das ganze Mehrfamilienhaus hier geheizt“, sagt die Puppendoktorin.

Heute macht Marlies August nur noch Reparaturen. Jedem Modell, ob aus alten Zeiten oder neueren Datums, haucht sie wieder Leben ein. Meist kann sie die Schäden schnell beheben, wenn der Kunde wartet, kann er seinen Liebling gleich wieder mitnehmen. Teuer ist es übrigens nicht, seine Puppe reparieren zu lassen. Ein neues Auge kostet vier bis sechs Euro, für eine Komplettaufarbeitung mit neuen Kleidern muss man mit rund 50 Euro rechnen.

Die Spezialistin hat noch einen Pflegetipp: „Die Puppe mit Vaseline einschmieren – sie wird es Ihnen danken“. Informationen gibt es direkt bei Marlies August unter Tel. 040/763 18 63.