Die Bühnenfassung der weltbekannten Satire auf das Erwachsenenwerden ist eine flotte Komödie

Harburg. Mit seinem Roman „The Graduate“ (deutscher Titel: „Die Reifeprüfung“) hat der amerikanische Autor Charles Webb im Jahr 1963 eine der erfolgreichsten und einflussreichsten Geschichten über das Erwachsenenwerden geschrieben. Vier Jahre später gelang Dustin Hoffmann in der Verfilmung des Romanstoffs der internationale Durchbruch und er wurde zum Idol seiner Generation. In der Bühnenfassung von Terry Johnson eröffnet „Die Reifeprüfung“ nun die wegen des Bühnenneubaus verspätete Saison am Harburger Theater. Dabei ist die Rolle der gelangweilten High-Society-Dame Mrs. Robinson mit der amerikanischen Schauspielerin und Sängerin Helen Schneider adäquat glamourös besetzt.

In der Rolle des nach dem Examen ziellos herumlungernden College-Absolventen Benjamin Braddock muss der junge Hamburger Schauspieler Johannes Merz auf der Bühne gegen das Bild ankämpfen, dass Dustin Hoffmann sicherlich in den meisten Köpfen der Zuschauer hinterlassen haben dürfte. Dabei hilft, dass die Theaterfassung sich an der Romanvorlage orientiert und nicht an dem Hollywood-Erzeugnis. Das Bühnenstück enthält durchaus Facetten, die der Film unberücksichtigt lässt.

Die Verfilmung mit Dustin Hoffmann sei zwar ein schweres Erbe, räumt Regisseurin Eva Hosemann ein. Aber die Bühnenfassung sei ein sehr gutes Theaterstück, das nicht auf den Film setze, sondern den Roman adaptiere – und zwar mit glänzenden Dialogen. „Es geht um die Geschichte, und wenn man dieser folgt, fallen einem neue, theatrale Bilder ein“, sagt sie.

Eva Hosemann, die dem Hamburger Theaterpublikum bereits mit der heiteren Inszenierung des Bestsellers „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ angenehm auffiel, zeigt die allmähliche Befreiung Benjamins aus dem spießbürgerlichen Gefängnis seiner wohlhabenden Mittelstandsfamilie als flotte Komödie.

Hat Benjamin bisher brav nach den Vorstellungen seiner Eltern gelebt, verlässt er mit Hilfe der anrüchigen Sex-Beziehung zu der verheirateten und doppelt so alten Mrs. Robinson die Prüderie der Vorstadt-Gesellschaft. Als Elaine (Lina Hoppe), die Tochter der Robinsons, aus dem College nach Hause zurückkehrt, verliebt Benjamin sich in sie.

Mrs. Robinson versucht mit allen Mitteln, die Liebe zwischen ihrem Liebhaber und ihrer Tochter mit Intrigen zu verhindern. Hier kann Helen Schneider in der Rolle der verführerischen, aber eiskalten Scheinheiligen glänzen, die rasend vor Eifersucht zur Furie wird. Das Harburger Publikum kennt Helen Schneider der bereits aus der Produktion „Der Ghetto Swinger“. Aufmerksamkeit verdient auch Samantha Hanses in zwei Nebenrollen: Der deutsch-italienischen Schauspielerin gelingt das Kunststück, in einem Theaterstück eine Stripperin und eine Priesterin zu geben.

Wie im Film spielt die Geschichte im sonnigen Kalifornien. Eva Hosemann greift auch den Zeitgeist der 1960er-Jahre auf und transformiert das Stück nicht in die Jetztzeit, was angesichts der universellen Aussagekraft des Romanstoffes ohne weiteres möglich gewesen wäre. Sie macht sogar eindeutige gesellschaftliche Parallelen zwischen dem Jahr 1963, als der Roman entstand, und heute aus.

„Wir befinden uns wieder in einer Art Leistungserziehungsgesellschaft, die der von damals nicht unähnlich ist“, sagt Eva Hosemann. Helikoptereltern, die ihre Kinder ständig wie Hubschrauber umkreisen, karren ihren Nachwuchs zu Yoga-, Ballett- und Chinesischkursen, um sie auf die Zukunft im Kapitalismus vorzubereiten. Irgendwann würden sie groß und manche so sein wie dieser Benjamin Braddock, prophezeit sie: „Sie werden sich danach sehnen, keinen Plan zu haben, nicht den Karriereweg fortzusetzen und einfach mal faul zu sein.“

Eva Hosemann hat keine Notwendigkeit erkannt, das Theaterstück in das heutige Blankenese zu verlegen. Die Figuren seien uns heute so nah, dass der Zuschauer die Nähe zu sich sogar besser über die zeitliche Distanz erspüre als wenn sie die zeitgeistige Keule ausgepackt hätte, erklärt die Regisseurin.

Eva Hosemann war auch schlau genug, eine übermächtige Assoziation zur Filmversion gar nicht aufkommen zu lassen und hat bewusst auf die eindringlichen Songs des Duos Simon & Garfunkel verzichtet. „Ich habe mich ganz klar gegen Simon & Garfunkel entscheiden, denn es ist der Soundtrack zum Film“, sagt Eva Hosemann. Stattdessen hat sie für das Theaterstück einen eigenen Soundtrack geschaffen: Rock- und Popsongs aus den 1960er-Jahren von den Doors oder Canned Heat übernehmen in der Bühnenfassung die Funktion als atmosphärische Klammer.

„Die Reifeprüfung“, mit Helen Schneider, 13. bis 23. November, Harburger Theater, Museumsplatz 2, Karten: 16 bis 32 Euro, Kartentelefon: 040/33395060