Die frühere Grüne Isabel Wiest will jetzt für die Neuen Liberalen in der Hamburger Bürgerschaft landen

Harburg. Sie ist die kommunalpolitische Senkrechtstarterin aus Hamburgs Süden: Isabel Wiest. Nur drei Tage nach ihrem Austritt bei den Grünen ist die 43 Jahre alte Juristin am vergangenen Sonntag mit 75 Prozent aller Stimmen zur Spitzenkandidatin der Neuen Liberalen für die Bürgerschaftswahl im Februar kommenden Jahres gewählt worden. Steiler hat sich der Aufstieg einer weiblichen Bezirksabgeordneten nie zuvor vollzogen.

„Ich war selbst überrascht. Gerade, weil ich noch nicht über allzu viel Erfahrung im Parlamentsbetrieb verfüge“, sagte sie dem Abendblatt. Ihre Bewerbungsrede auf dem Landesparteitag der Neuen Liberalen dauerte fünf Minuten. Sie reichten aber offenkundig aus, die Delegierten zu überzeugen und für sich einzunehmen.

Die gebürtige Schwäbin aus Ulm hat an der Leibnitz-Universität in Hannover Jura und Wirtschaftswissenschaften studiert und an der Uni Speyer einen weiteren Abschluss in Verwaltungswissenschaften gemacht. Heute ist die Spezialistin für Verwaltungs- und Steuerrecht in einem Büro für Immobilienberatung tätig. Über Hamburgs Grenzen hinweg hat sie zudem etliche Bürgerinitiativen beraten.

In Harburg ist sie bekannt geworden durch ihr Engagement für die Verkehrsberuhigung in der Jäger- und Vogteistraße. Das sicherte ihr bei der jüngsten Bezirkswahl im Mai aus dem Stand mit 2259 Personenstimmen ein Direktmandat. Und Platz zwei in ihrem Wahlkreis Wilstorf hinter SPD-Schwergewicht Torsten Fuß (3228 Stimmen).

„Geprägt haben mich vor allem das gelebte Freidenkertum und die offenen Denkprozesse an der juristischen Fakultät in Hannover. Dort durfte alles gedacht und gesagt werden“, sagt Isabel Wiest. Genau das hätte sie später in der Kommunalpolitik schmerzlich vermisst. Auch bei den Grünen, denen sie seit Februar 2013 angehörte. „Sicher gab es gewisse Schnittmengen in der Verkehrs- und Beteiligungspolitik“, so die Tochter eines Berliner Biochemikers und einer Medizinerin aus Hannover. Doch in der Steuer- und Schulpolitik sei sie oft anderer Ansicht gewesen: „Hier gibt es bei den Grünen viele starre Positionen und Denkverbote, unter denen ich wirklich gelitten habe.“

Gerade deshalb empfindet sie die Gründung der Neuen Liberalen wie ein Geschenk. Der liberale Kompass garantiere einen breiten Beteiligungsprozess, um gesellschaftskonforme Ideen zur freien Entfaltung aller zu entwickeln. Er sei in seinen Grundzügen zudem ökologisch und nachhaltig: „Insofern habe ich bei den Neuen Liberalen tatsächlich eine politische Heimat gefunden. Weil hier wirklich in alle Richtungen gedacht und diskutiert werden darf, befreit von allen Parteischranken. Vor allem aber deshalb, weil Bürgerbeteiligung in dieser Partei einen ganz großen Stellenwert hat.“

Aus diesem Grund sei die Gründung der neuen Fraktion auch absolut folgerichtig gewesen. Schon suche man nach einem Fraktionsbüro und geeigneten, zugewählten Bürgern für die Arbeit in den Ausschüssen. „Wir wollten einfach sofort handlungsfähig sein, um ernsthaft etwas bewegen und die großen Demokratiedefizite aktiv und offensiv bekämpfen zu können“, erklärt Isabel Wiest. Es könne doch nicht angehen, dass die Große Koalition aus SPD und CDU solche simplen Forderungen wie einen Newsletter im Ratsinformationssystem oder eine fest verankerte Bürgerfragestunde in allen Ausschüssen einfach abwürge. Deshalb sei sie auch der festen Überzeugung, dass die Neuen Liberalen schon bald weiteren Zulauf aus anderen Fraktionen haben werden.

Ehemann und Kinder stehen voll hinter ihrer Politkarriere

„Ja, ich hinterfrage alles und habe hohe moralische Ansprüche“, sagt Wiest über sich. So habe sie natürlich auch überlegt, ob die Mitnahme ihres als Grüne errungenen Bezirksmandats vertretbar ist. Doch nach Artikel 38 Grundgesetz sei sie als gewählte Volksvertreterin nur ihrem Gewissen verpflichtet und keiner Partei: „Meine Wähler haben mich für eine bestimmte Grundhaltung gewählt. Und an der hat sich trotz des Wechsels zu den Neuen Liberalen überhaupt nichts geändert.“

Geändert habe sich allenfalls, dass in den nächsten Wochen bis zur Bürgerschaftswahl noch weit mehr politische Arbeit auf sie zukommen werde. „Die Fünf-Prozent-Hürde wollen wird auf jeden Fall nehmen. Wir wären nicht angetreten, wenn wir von unserer Chance nicht überzeugt sind“, sagt Isabel Wiest. Auf diesem Weg haben ihr Ehemann Gunter, ein Lungenspezialist in der Asklepios-Klinik Harburg, sowie die Kinder Marlene, 9, und Julius, 7, alle familiäre Unterstützung zugesagt. „Wir haben einen demokratischen Prozess in Gang gesetzt und können nur gewinnen“, gibt sich die Überfliegerin optimistisch. Ob sie tatsächlich in Hamburg landen wird, entscheiden im kommenden Jahr die Wähler.