Wilhelmsburgerin kauft in Lübeck einen Gebrauchtwagen, der sich trotz frischer HU-Plakette als Schrottauto erweist

Hamburg/Lübeck. Sagt die vom Staat vorgeschriebene Plakette zur Hauptuntersuchung (HU) tatsächlich etwas darüber aus, ob ein Kraftfahrzeug fahrtüchtig und verkehrssicher ist? Offenbar nicht, wie Roswitha Rocca aus Hamburg-Wilhelmsburg erfahren musste. Die 53-Jährige ist bei einem Autokauf einem Plaketten-Schwindler auf dem Leim gegangen – und mit ihrem Fall bis zum schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium gegangen. Das Ministerium lehnt eine Schadensersatzpflicht des Landes ab: Es sei nicht zu beweisen, dass der Prüfer ihr Auto zu Unrecht als mängelfrei eingestuft hat, lautet die Antwort aus der Abteilung für Verkehrsrecht.

Dabei hat Roswitha Rocca hartnäckig und mit detektivischer Akribie den offensichtlichen Schwindel aufgedeckt. Sie besitzt zwei Prüfberichte zu ihrem 16 Jahre alten Mercedes A-Klasse, die unterschiedlicher kaum ausfallen können. Recherchen beim Vorbesitzer ergaben, dass ihr Mercedes „Elch“ innerhalb nur eines Tages während einer annähernd 570 Kilometer langen Überführung von Lohr in Unterfranken nach Lübeck von einem Schrottauto zu einer verkehrssicheren Karosse mutiert sein muss. Erst so gut wie ein Wrack – und einen Tag später klebt die HU-Plakette auf dem Nummernschild. Wie geht das? Hier die Geschichte:

Roswitha Rocca ist vor zehn Monaten in einem Internet-Autohandelportal auf den kleinen Mercedes mit Sitzheizung gestoßen. Nur 111.442 Kilometer auf dem Tacho, für 1350 Euro zu haben. Das passte in das Budget der früheren Maklerin und selbstständigen Unternehmerin, die seit einer Krebserkrankung von einer kleinen Rente leben muss. Hauptuntersuchung so gut wie neu. Das war ihr wichtig, denn damals hat Roswitha Rocca noch an die HU-Plakette als Qualitätssiegel geglaubt. „Das ist ja eine Urkunde“, sagt sie. Im November 2013 kauft sie Serdar E. den Mercedes ab. Treffpunkt ist eine Tankstelle an der Autobahn bei Lübeck-Moisling.

Roswitha Rocca fällt im September 2014 auf, dass ihr kleiner Mercedes stark nach Öl riecht und sucht eine Werkstatt in Hamburg-Harburg auf. Der Mechaniker rät ihr, mit dem Auto so nicht mehr vom Hof zu fahren. Die Bremsleitung rechts sei durchgerostet, beide Schweller hinten seien von Rost zerfressen. Der Motor zeigt sich feucht von Öl.

Können tragende Bauteile in einem Dreivierteljahr völlig durchrosten? fragt sich die Autobesitzerin und hat Zweifel. Roswitha Rocca hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Mit Hilfe des alten Fahrzeugbriefs macht sie den Vorbesitzer ausfindig und ruft ihn an. R., ein älterer Herr aus der Stadt Lohr bei Würzburg, gibt offen Auskunft. Wegen schwerer Mängel habe er das Auto nicht mehr durch die Hauptuntersuchung bringen können und deshalb für 550 Euro verkauft. Den Dekra-Prüfbericht habe er leider nicht mehr.

Den Kaufvertrag aber faxt der freundliche Herr Roswitha Rocca zu. Mit schweren Mängeln geht demnach das Auto am 24. Oktober 2013 aus der bayerischen Stadt Lohr nach Lübeck auf die Reise. Nur einen Tag später besteht derselbe Wagen die Hauptuntersuchung: „Ohne festgestellte Mängel“ steht in dem Prüfbericht, den die Gutachter-Zentrale Nord, ein Partner der Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger (KÜS), am 25. Oktober 2013 ausstellt. Das ist der Prüfbericht, vom dem sich Roswitha Rocca täuschen lässt.

Um die Beweiskette zu schließen, macht sich Roswitha Rocca noch auf die Suche nach dem Prüfbericht, der belegt, wie Vorbesitzer R. noch mit Pauken und Trompeten durch die Hauptuntersuchung gefallen ist. Mit dem Fahrzeugbrief als Legitimation erhält sie bei der Dekra in Hamburg den Prüfbericht vom 11. Oktober 2013, der den tatsächlichen Zustand ihres Wagens beschreibt: „Erhebliche Mängel“, lautet darin das Prüfergebnis. Dabei handelt es nahezu exakt um die Mängel, die ein Jahr später in der Werkstatt in Hamburg-Harburg festgestellt werden.

Zwei HU-Berichte von staatlich anerkannten Prüfern zu demselben Auto, die unterschiedlicher nicht sein können – Roswitha Rocca wendet sich empört an das schleswig-holsteinische Verkehrsministerium, das die Aufsicht über die staatlich anerkannten Prüforganisationen führt. Das Ministerium in Kiel ist für die Hamburgerin zuständig, weil der aktuelle Prüfbericht zu ihrem Fahrzeug aus Lübeck stammt.

Das Verkehrsministerium sieht jedoch keinen Grund zum Einschreiten: „Sie müssen darlegen und nachweisen, dass der Prüfingenieur der KÜS vorsätzlich oder grob fahrlässig bei seiner Untersuchung am 25. Oktober den Pkw zu Unrecht als mängelfrei eingestuft hat. Dieses ist aus den mir zur Verfügung gestellten Unterlagen leider nicht beweisbar“, heißt es in dem Antwortschreiben.

Aus dem Schreiben geht noch hervor, dass Prüforganisationen offenbar Narrenfreiheit genießen: „Auch wenn das Land Schleswig-Holstein formal für Amtshaftungsansprüche gegenüber einem Prüfingenieur einer amtlich anerkannten Überwachungsorganisation der Adressat ist, würde ein derartiger Anspruch von hier nur anerkannt werden, wenn die Organisation diesen Anspruch anerkennt“, lässt die Abteilung für Verkehrsrecht Roswitha Rocca noch wissen. Das bedeutet: Wenn die Prüforganisation also den eigenen Fehler nicht zugibt, ist auch nichts zu machen.

Offensichtlich handelt es sich bei Roswitha Rocca nicht um einen Einzelfall. Aufgrund seiner Erfahrungen in derartigen Fällen, schreibt der Sachbearbeiter, könne Roswitha Rocca davon ausgehen, dass die KÜS ein Verschulden des Prüfingenieurs ablehnen wird. Und nur dann würde die Versicherung zahlen.

Roswitha Rocca ist enttäuscht. Italien habe seine Mafia, und wir unsere Hauptuntersuchungen, sagt sie süffisant. Die krebskranke Frau sei auf das Auto angewiesen, um zu Untersuchungen und Behandlungen Ärzten zu fahren. Die Hamburgerin hofft nun, dass jemand ihr ein fahrtüchtiges Auto, Automatik oder Halbautomatik, für etwa 500 Euro verkaufen kann. „Eines“, sagt sie, „dass tatsächlich die Hauptuntersuchung bestanden hat.“