Mirjam Glessmer erforscht an der TUHH und der Uni Bergen den Golfstrom. Er wird so schnell nicht abreißen, sagt sie

Harburg. Die Realität ist zum Glück eine andere – keineswegs so erschreckend, wie sie von Regisseur und Drehbuchautor Roland Emmerich im Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“ 2004 dargestellt worden ist. Trotz Klimawandel und abschmelzende Polkappen wird sich nach Überzeugung von Dr. Mirjam Glessmer von der Technischen Universität Hamburg Harburg (TUHH) auch in fernerer Zukunft nichts an der Zirkulation des warmen Golfstroms im Nordatlantik ändern. Es wird bei uns somit nicht die dargestellte neue Eiszeit mit dreistelligen Minustemperaturen geben.

Ihre Erkenntnisse hat die 32 Jahre alte Hamburger Wissenschaftlerin während mehrjähriger Forschungen am Geophysikalischen Institut der norwegischen Universität Bergen gewonnen und jetzt in ihrer Studie „Atlantic origin of observed and modelled Nordic Seas freshwater anomalies“ im Wissenschaftsmagazin „Nature Geoscience“ veröffentlicht. „Ich habe bei Fahrten mit norwegischen Forschungsschiffen oder auch mit dem deutschen Forschungsschiff Poseidon einigen Wellengang erlebt und bin im Gegensatz zu anderen Teilnehmern zum Glück nicht seekrank geworden“, freut sie sich. Im Nord- und Südatlantik, zwischen Arktis und Antarktis, ebenso im Indischen Ozean hat sie bereits Wasserproben gezogen, auf Salzgehalte untersucht und Temperaturen in unterschiedlichen Meerestiefen gemessen.

Für den Golfstrom übernimmt sie die geophysikalische Bezeichnung „ozeanisches Förderband“. Im Golf von Mexiko heizt sich der Atlantik durch Sonneneinstrahlung auf gut 30 Grad auf, zirkuliert mit seinem Oberflächenwasser bis an die Eisgrenze der Arktis bei Grönland, hat sich bis dahin soweit abgekühlt, dass das Wasser um den Gefrierpunkt in die Tiefe sinkt und über dem Meeresboden den Rückweg antritt. Die Befürchtung, dass sich durch zunehmende Erwärmung und abschmelzendes Gletschereis der Süßwasseranteil des Meeres erhöht und das gegenüber Salzwasser früher gefrierende Süßwasser den Golfstrom abreißen lassen könnte, ist laut Dr. Glessmer nicht zu erwarten.

Zusammen mit ihrem Team hat sie Messdaten ab 1950 ausgewertet. Die nordischen Meere (Norwegian Sea, Iceland Sea, Greenland Sea) wurden in Regionen unterteilt, Messdaten übertragen und Muster verglichen. So konnten die Wissenschaftler letztlich ein Modell entwickeln, dass den tatsächlichen Verlauf der Meeresströmung anzeigt. Mirjam Glessmer: „Das Ergebnis ist ein Durchbruch in der Klimaforschung. Anders als angenommen, stammen die Süßwasseranomalien in den nordischen Meeren zum Großteil nicht aus der Arktis, sondern aus dem Nordatlantik.“ Der geringste Salzgehalt im Meerwasser wird entlang der Ostküste Grönlands gemessen.

Glessmer: „Der Klimawandel führt zu einem Temperaturanstieg in der Arktis und Grönland und somit zu mehr Schmelzwasser. Das Schmelzwasser fließt auch in die nordischen Meere, allerdings ist der Einfluss auf den mittleren Salzgehalt viel kleiner als bisher angenommen.“ Ihren Worten nach bleibt das Schmelzwasser in einem Randstrom entlang der grönländischen Küste. Das Süßwasser komme nicht in die relevanten Regionen der nordischen Meere. Es bildet sich auch keine Eisschicht wie in dem Film dargestellt. Glessmer: „Ein Abreißen des Golfstroms und ein Abstürzen der Temperatur in Europa ist nicht zu erwarten.“

Mirjam Glessmer ist in Hamburg-Wellingsbüttel geboren, hat an der Hamburger Universität Physikalische Ozeanografie studiert und im Nebenfach Schiffbau an der Technischen Universität (TUHH) in Harburg. 2010 promovierte sie am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Thema: „Sauerstoff-Minimumkonzentrationen in tropischen Gewässern“. Ihre Forschungsarbeit zu Süßwasser und Golfstrom fertigte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bergen von Januar 2011 bis November 2013 an. Seit 2011 hat sie auch den Abschluss „Master of Higher Education“. „Ich habe bereits in Norwegen viel unterrichtet und dabei wissenschaftlich verfolgt, in welcher Form des Unterrichts Studierende den Lehrstoff am besten aufnehmen“, sagt sie. Mit „Learning by doing“ machte sie gute Erfahrungen.

Seit Ende vergangenen Jahres ist sie zurück in Hamburg, hatte sich auf eine Stellenausschreibung der TUHH, Dekanat Maschinenbau und Schiffbau, beworben und arbeitet nun als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Lehre und Lernen der TUHH. „In meinem Job geht es nun darum, den Lehrstoff in Zusammenarbeit mit den Professoren effektiv zu gestalten“, sagt sie. Den Weg zur Arbeit hat sie sich verkürzt und eine Wohnung in Harburg genommen. Aber auch der Draht zur Uni in Bergen besteht noch und über ihn läuft auch noch eine Forschungsassistenz, verbunden mit einer Fahrt auf einem norwegischen Forschungsschiff kommendes Jahr in Richtung Grönland. „Darauf freue ich mich schon“, sagt Mirjam Glessmer.