Weißer Ring inszeniert in Buchholz Trickdiebstahl an Rentnerin, um Passanten über Zivilcourage aufzuklären

Buchholz. Inge Hellberg holt sich Geld aus dem Automaten, der im Foyer des Buchholzer Famila-Marktes am Nordring steht. Zwei Jugendliche sprechen sie an, der eine mit einem Stadtplan in der Hand, um nach einer Wegbeschreibung zu fragen. Er verwickelt die Rentnerin in ein Gespräch, während sein Freund unbemerkt den Rollator samt Handtasche zur Seite schiebt, in aller Seelenruhe das Portemonnaie herausnimmt – und dann mit seinem Kumpel Fersengeld gibt. Die beiden kommen gerade bis zur Ausgangstür, dann hat Nils Fehse einen der beiden Jungs im Schwitzkasten. Polizistin Katrin Ragge ist schon zur Stelle.

Was der 30-jährige Buchholzer, der so beherzt eingegriffen hat, zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Der Trickdiebstahl ist inszeniert. Der Weiße Ring und die Polizeiinspektion Harburg wollen testen, ob die Bürger eingreifen, wenn ein Verbrechen passiert, und wenn ja, in welcher Weise sie eingreifen. „Viele Menschen sind handlungsunsicher. Zivilcourage heißt aber in erster Linie, dem Opfer beizustehen“, sagt Karl-Heinz Langner, Außenstellenleiter Harburg beim Weißen Ring und ehemals langjähriger Leiter der Tostedter Polizeidienststelle. Sein Darstellergrüppchen ist ebenfalls aus Tostedt: Inge Hellberg lebt in einer Seniorenwohnanlage und engagiert sich in der Präventionsarbeit, die beiden Zehntklässler Marvin Sörensen und Kareem Bayaa nehmen an einer Zivilcourage-AG am Gymnasium Tostedt teil. Sie mimen schon zum zweiten Mal die Diebe.

Und das recht überzeugend. Nils Fehse, der hinter Inge Hellberg am Geldautomaten anstand, hatte Verdacht geschöpft, als die beiden Jugendlichen mit dem Stadtplan ankamen und die alte Dame ansprachen: „Im Fernsehen wird ja häufig über solche Tricks berichtet.“ Als die beiden Diebe dann wegrannten, „habe ich nur noch reagiert.“ Der ganze Zwischenfall dauert nur wenige Sekunden. Die übrigen Kunden nehmen kaum Notiz – kein Wunder, die Szene ist wegen der aufgestellten Paletten mit Alpenmilchschokolade und Überraschungseiern gar nicht von überall zu sehen. Um Frau Hellberg hat sich niemand gekümmert.

Was also sollte man tun, wenn man Zeuge einer Straftat wird? „Wichtig ist, dass man sich selbst nicht in Gefahr bringt“, sagt Karin Langner, die sich mit ihrem Mann gemeinsam beim Weißen Ring engagiert. Karl-Heinz Langner ergänzt: „Es ist auch wichtig, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Viele haben Angst davor, aber das ist unbegründet.“ „Das ist ganz schön schwierig, sich Details zu merken, wenn es so schnell geht“, wirft Nils Fehse ein. Vor allem aber: 110 wählen, die Polizei rufen. „Das geht überall und mit jedem Handy“, betont Carsten Bünger, genau wie Katrin Ragge Präventionsbeauftragter bei der Polizei. Selbst wenn man glaubt, die Täter seien längst fort, ist es nicht unnütz. „Es kann ja sein, dass sie anderswo auch auffallen. Irgendwann führt es dann doch zur Ergreifung der Täter.“ Die Akteure vom Weißen Ring und der Polizei haben daher anschließend die Kunden im Einkaufszentrum mit Informationen versorgt. In Tostedt und Winsen haben ebenfalls Aktionen stattgefunden. Dabei stießen sie auf Aussagen, die Karin Langner „gewöhnungsbedürftig“ findet: „Viele meinen, das könne ihnen nicht passieren oder die Senioren seien selbst schuld, wenn sie auf ihre Sachen nicht aufpassen.“

Dabei ist Zivilcourage ganz einfach zu erklären: „Hinsehen, nicht wegsehen“, heißt die Devise. Die Polizei rufen, dem Opfer beistehen. Rollen verteilen: „Sie mit der blauen Jacke holen Hilfe, Sie mit dem Hut bleiben bei der Frau, die bestohlen wurde.“ Und nicht den Helden spielen, also zum Beispiel einen gewalttätigen Täter festhalten. „Die Aufklärung der Tat macht die Polizei“, betont Carsten Bünger. Auch für die Opfer selbst gibt der Weiße Ring Empfehlungen. „Siezen Sie den Täter, auch wenn es sich um einen Jugendlichen handelt. So erkennen Außenstehende, dass dies kein Konflikt unter Bekannten oder Familienmitgliedern ist“, sagt Karl-Heinz Langner. Inge Hellberg hat eine Trillerpfeife eingesetzt: „Richtig so“, sagt Langner. „Lärm erregt Aufmerksamkeit. Kein Täter möchte aber, dass er bei seiner Tat beobachtet wird. Man kann auch schreien oder laut singen. In dem Moment spielt es keine Rolle, ob das etwas verrückt erscheint.“

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