Bei der Informationsveranstaltung von Bezirk und Umweltbehörde zu den Überschwemmungsgebieten im Süden gingen die Fakten oft unter

Neugraben. Die meisten der Falkengraben-Anwohner waren am Mittwochabend mit dem Eindruck ins Bürger- und Gemeinschaftszentrum Neugraben gekommen, dass das Überschwemmungsgebiet Falkengraben willkürlich ausgewiesen wurde, dass sie dadurch Nachteile erleiden müssten, die doch andere erleiden könnten – zumindest könne man ja woanders ein Überschwemmungsgebiet ausweisen, dann hätte man in Neugraben Ruhe – und dass man kein Überschwemmungsgebiet ausweisen müsse, weil man ja vorbeugende Maßnahmen treffen könnte. Zweieinhalb Stunden Später verließen die meisten von ihnen den Saal mit dem selben Eindruck – und das lag nur zum Teil daran, dass sie nicht zugehört hatten.

Es lag auch daran, dass einige auf dem mit 10 Mitarbeitern des Bezirksamts, der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und des Landesbetriebs Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) groß besetzten Podium sich nur missverständlich, unverständlich oder unverbindlich äußerten. So unterlief Gerald Boekhoff, Leiter des Fachamts für Management des öffentlichen Raums im Bezirk Harburg, der rhetorische Fehler, gleich am Anfang zu sagen, dass Gewässer im Ernstfall Raum bräuchten um sich auszudehnen. Da war er gleich wieder, der - falsche - Eindruck, bei den Überschwemmungsgebieten handele es sich um Flächen, die eingeplant werden, um Hochwasser aufzuhalten. So murmelte Klaus Kluge vom LSBG Abkürzungen, Formeln und Paragraphen in einer derart dichten und schnellen Abfolge durcheinander, dass bei den Zuhörern nur noch „Bahnhof“ ankam und sie sich fühlten, als säßen sie einem verwaltungsrechtlichen Hütchenspieler gegenüber. So versicherten zwar alle Planungsrechtler auf dem Podium, dass sie die Einschränkungen, die für Grundstücksbesitzer mit dem Überschwemmungsgebiet einher gehen, möglichst flexibel, pragmatisch und im Sinne der Grundstückseigentümer auslegen wollten; ließen sich jedoch kaum festlegen, was noch genehmigungsfähig sei und was nicht. Und auch das Versprechen, die festgelegten Überschwemmungsgebiete regelmäßig zu überprüfen und – zum Beispiel nach Bau neuer Rückhaltebecken oder Wehre – neu festzulegen, wurde zwar gegeben, jedoch der Zeitrahmen nur vage mit „wir planen einen sechsjährigen Rhythmus“ festgelegt. Die Zuhörer mochten daraus kein Vertrauen schöpfen.

Da konnte Olaf Simon, bei der BSU für die Ausweisung der Überschwemmungsgebiete verantwortlich, noch so sehr die Fakten servieren, im Publikum kamen sie nicht mehr an. Simon und seine Mitarbeiter haben nämlich keineswegs willkürlich Gebiete festgelegt, in die bei Starkregen das Wasser fließen soll. Sie haben lediglich festgestellt, wohin es beim jetzigen Zustand der Gewässer fließt, würde jetzt gerade ein Jahrhundertregen herunterkommen. Das ist eine Vorgabe des Wasserhaushaltsgesetzes. Die Bundesländer hatten bis Ende letzten Jahres Zeit, diese Überschwemmungsgebiete festzustellen und auszuweisen. Hamburg ist also bereits in Verzug.

Und bei diesem Jahrhundertregen würde - so Simons Berechnungen - der Falkengraben erheblich über seine Ufer treten. Damit sind die anliegenden Grundstücke Überschwemmungsgebiet – einige mehr, einige weniger. Dass man diese Gefahr durch Baumaßnahmen eventuell abmildern könnte, darf Simon laut Gesetz nicht interessieren. Nur der Ist-Zustand zählt. Erst wenn neue Rückhaltebecken oder Wehre gebaut und in Betrieb sind, können und müssen die Überschwemmungsgebietsgrenzen revidiert werden.

Die Betroffenen beruhigte das wenig. Auf Grundstücken in Überschwemmungsgebieten gelten nämlich zahlreiche Einschränkungen. Alles, was im Hochwasserfall Umwelt und Mitmenschen gefährden würde oder einen schnellen Wiederabfluss des Gewässers behindert, darf im Überschwemmungsgebiet weder gelagert noch gebaut werden. „Damit kann ich die rückwärtige Bebauung meines Grundstücks vergessen", sagte ein Anwohner. „Das ist doch eine Enteignung!“

„Es kann doch nicht angehen, dass in die Rechte Einzelner eingegriffen wird, nur um die Allgemeinheit zu schützen“, fügte der Neugrabener Rechtsanwalt Jörg Plarre hinzu.

Doch, könne es, und es passiere immer wieder, gab Wasserrechtlerin Lisa Kühl von der BSU zurück. Und Landschaftsplaner Karl-Heinz Alpheus vom Bezirksamt Harburg fügte hinzu: „Die bislang geltenden Bebauungspläne lassen in dem betroffenen Gebiet ohnehin fast nirgendwo eine rückwärtige Grundstücksbebauung zu. Von Enteignung kann also keine Rede sein."

Sowohl Alpheus, als auch Simon sicherten den Zuhörern zu, die Beschränkungen des Wasserhaushaltsgesetzes der tatsächlichen Situation in Norddeutschland anzupassen. „Wir haben es ja hier nicht mit reißenden Fluten in engen Flusstälern zu tun“, sagte Alpheus. Konkret wollte er allerdings nicht werden.

Bis zum 31. Oktober sammelt die BSU noch die schriftlichen Stellungnahmen der von den 11 Hamburger Überschwemmungsgebieten betroffenen Bürger.