Jeden Morgen herrscht rund um die Grundschule In der Alten Forst der Ausnahmezustand. Viele Kinder werden von ihren Eltern vorgefahren

Harburg. Morgens, zwischen Viertel vor und acht Uhr, an der Grundschule Alte Forst in Eißendorf. Im Sekundentakt halten Autos mit Kindern an Bord vor dem Gelände, darunter viele schwere Geländewagen aller Marken. Der Auftrieb ist seit Jahren so groß, dass sich die Straßenverkehrsbehörde im August 2012 veranlasst sah, regulierend einzugreifen. Die kleine Straße In der Alten Forst ist seitdem von sieben bis neun Uhr temporär Einbahnstraße. Dennoch herrscht rund um die Schule regelmäßig der Ausnahmezustand.

Polizeikommissar Günter Meiners, Bürgernaher Beamter (Bünabe) für den Stadtteil, steht an der Einmündung Hainholzweg, einer der „Haupteinflugschneisen“ für die Schule. Von dort aus ist das Einbiegen in die Alte Forst um diese Zeit eigentlich nicht erlaubt. Dennoch versucht es gerade wieder eine hektisch rangierende Mutter mit Kind auf der Rückbank. Freundlich weist Meiners auf das Einfahrtverbot hin – und erntet einen genervten Blick.

„Nach wie vor kommt es hier zu chaotischen Zuständen, werden die geltenden Verkehrsregeln nicht eingehalten“, berichtet der Bünabe. Manche Eltern würden sich sogar dreist in die Halteverbotszone direkt an der Schule stellen, obwohl er direkt daneben stehe. Zudem würden fremde Grundstückseinfahrten zugeparkt, was immer wieder auch zu Anwohnerbeschwerden geführt hätte.

„Wenigstens gibt es durch die Einbahnstraßenregelung jetzt weniger gefährliche Wendemanöver über den Fußweg, bei denen es früher immer wieder zu gefährlichen Situationen für die Schulkinder gekommen ist“, sagt Günter Meiners und zuckt ratlos die Schultern. Als er vor sechs Jahren nach Harburg wechselte, war die Alte Forst noch dreizügig. Inzwischen gibt es hier mit mehr als 560 fast doppelt so viele Schüler. Das habe die Situation dramatisch verändert.

Ob die Schule in ihrer aktuellen Dimension in dem reinen Wohngebiet mit seinen vielen schmalen Nebenstraßen gut angesiedelt ist, steht dahin. In jedem Fall hat sich die Lage mit Beginn des neuen Schuljahres noch einmal verschärft. Weil 139 ABC-Schützen an der Schule angemeldet worden waren, mussten erstmals sechs erste Klassen gebildet werden. „Das ist schon bemerkenswert. Noch nie sind an einem Standort in Hamburg mehr Kinder eingeschult worden“, bestätigt Torsten Altenburg-Hack von der Regionalen Schulaufsicht.

Dabei gibt es einen gültigen Schulentwicklungsplan, der für die Alte Forst nur eine Fünfzügigkeit vorsieht, wie Altenburg-Hack bestätigt. „Weil die Schule aber weniger Vorschüler verzeichnete, als gedacht, und die Raumkapazität da war, wurde kurzerhand eine weitere erste Klasse eingerichtet“, erklärt der für Harburg zuständige Schulinspektor.

Fragt sich nur, warum das von der Schulbehörde jahrelang propagierte Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ offenbar nicht mehr gilt. Jeder Schüler sollte seine Schule allein und am besten zu Fuß erreichen, hieß es mal. Jetzt allerdings gilt eine andere Priorität: „Es ist gelungen, 95,8 Prozent der Erstklässler an ihren Wunschschulen einzuschulen, im Vorjahr waren es nur 94,2 Prozent. Das ist ein überaus positives Ergebnis“, so Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde.

Das freut bei weitem nicht alle Eltern. Es wächst der Unmut über die wachsenden Schülerzahlen. Und immer öfter wird laut die Frage gestellt, ob die aktuelle Dimensionierung tatsächlich gut und im Sinne der Kinder ist. Laut traut sich das allerdings niemand zu sagen, das eigene Kind soll ja schließlich keine Nachteile erleiden. „Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass dieser Größenwahn von immer mehr Eltern kritisch gesehen wird“, sagte ein besorgter Vater dem Abendblatt. Was sich tagtäglich rund um die Schule abspiele, sei längst nicht mehr feierlich.

Der Run auf die Alte Forst kommt nicht überraschend. Seit Jahren ist die Grundschule, die als sogenannte Schmetterlingsschule besonders begabte Schüler speziell fördert, von der Behörde überdurchschnittlich aufgerüstet worden. Nach einer umfassenden Grundsanierung der bestehenden Wabenbauten, erhielt sie jetzt noch einen Erweiterungsbau mit zusätzlichen Klassen- und Fachräumen sowie eine neue Sporthalle. „Alle Klassenräume sind mit ergonomischen Tischen und Stühlen eingerichtet und modernster Medientechnik ausgestattet“, so Schulleiter Andreas Wiedemann.

Der gute Ruf hat seinen Preis. Das weiß auch die Goethe-Schule Harburg (GSH), die durch ihr ausgeprägtes Kulturprofil mit Chören wie Gospel Train, Orchester und Theatergruppen überzeugt. Aktuell verzeichnet die Stadtteilschule 1670 Schüler – und platzt aus allen Nähten. Allein in diesem Schuljahr gab es 224 Anmeldungen, nur die Julius-Leber-Schule in Schnelsen hatte in ganz Hamburg mit 232 mehr.

Doch auch hier regt sich Widerstand. So moniert die Mutter einer Neuntklässlerin, dass die Klasse ihrer Tochter 27 Schüler umfasse, obwohl die Integrationsklasse, in der auch Schüler mit Handicaps unterrichtet werden, die Zahl von 22 Schülern nicht überschreiten dürfe. „Dass ist nicht unsere Entscheidung, sondern Sache der Behörde“, sagt Schulleiterin Heidrun Pfeiffer. Und verweist unter anderem darauf, dass in der Klassenstufe sieben auch Schüler aufgenommen werden müssten, die von den Gymnasien ausgemustert werden.

Unübersehbar ist unterdessen, dass unter den stark nachgefragten Schulen andere Schulen leiden und durch die Schülerzuteilung seitens der Schulbehörde sogar geschwächt werden. Im Grundschulbereich ist eine immer stärkere Hinwendung der Eltern zu Schulen in den wohlhabenderen Stadtteilen Heimfeld und Eißendorf unübersehbar. Mit allen Konsequenzen, wie sie eingangs ausführlich beschrieben sind.