Angeklagter gesteht nächtlichen Überfall auf eine Prostituierte an der B 4 – im Prozess bittet er um Vergebung

Lüneburg. Sie saß hinter der Windschutzscheibe ihres Wohnmobils und wartete. Es gehört zu ihrem Job, das Warten. Manchmal stundenlang. Bis ein Wagen hält. Als schließlich ein Auto blinkte, bremste und abbog, wunderte sie sich. Sie konnte kein Kürzel für eine Stadt erkennen. Was für ein Nummernschild ist das? Als es an der Tür klopfte, schlüpfte sie zwischen Fahrer- und Beifahrersitz nach hinten, öffnete und sah in die Mündung einer Pistole.

Landgericht Lüneburg, Saal 21, Schwurgericht, vierte große Strafkammer. Es sind die Fälle rund um Raub, Mord und Totschlag, um die es hier geht. Daniel D. trägt ein hellgrünes Hemd und dunkelblaue Jeans, die braunen Haare sorgfältig geschnitten. Seine Hände liegen auf dem schweren Eichentisch vor ihm, gefaltet. Als das Gericht den Raum betritt, steht er auf wie alle anderen und faltet seine Hände hinterm Rücken.

Daniel D. ist angeklagt, eine Prostituierte in einem „Lovemobil“ an einer Bundesstraße überfallen zu haben. Der Vorwurf: versuchte schwere räuberische Erpressung.

Daniel D. ist 27 Jahre alt, deutsch, ledig, kinderlos. In Dessau-Roßlau geboren, lebt der Installateur und Meister in einer Wohngemeinschaft in Lüneburg – bis zum 4. April 2014. Da öffnen sich für ihn die Türen zur Untersuchungshaft in Uelzen.

Es ist die Bundesstraße 4 zwischen Lüneburg und Soltau, um die es hier geht. Hinter Uelzen, dort, wo Wälder rechts und links die Straße verdunkeln, da stehen die Wohnwagen mit den roten Lichterketten und den Frauen hinter den Windschutzscheiben.

Daniel D. sagt, er habe nach Dessau zum Reifenwechsel fahren wollen, weil seine Sommerräder dort im eigenen Schuppen lagern und er eine Freundin ein paar Tage später nach Frankfurt fahren wollte. Kurz hinter Uelzen habe er sich auf einem Parkplatz für die anstehende Schmutzarbeit umgezogen. Da fühlten seine Hände in der Hosentasche eine Sturmhaube. Sie muss von der letzten Motorradtour noch drin gesteckt haben.

„Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie kam mir diese wahnwitzige Idee. Die Gründe sind mir bis heute nicht klar. An Geld hat es mir nicht gemangelt.“

Daniel D. klebte ein Ahornblatt auf sein Autokennzeichen. Stieg ein, fuhr die B4 zwischen Tannen und Fichten weiter. Und bremste, als er das erstbeste Wohnmobil sah. Er blinkte und bog ab.

„Ich stand vor der hinteren Beifahrertür und sagte, ich will all dein Geld haben. Sie ist sichtlich in Panik geraten, hat wild herumgefuchtelt. Sie hat ständig nein gerufen. Da war blanke Panik. Ich sah ihre Angst. Dann bin ich ins Zweifel geraten, was ich da eigentlich mache. Ich wollte nicht, dass sich irgendjemand vor mir fürchtet. Dann hat sie die Flucht ergriffen. Ich wollte nur noch weg.“

Er steckte die Waffe wieder ein, eine Soft-Air-Pistole zum Herumballern im Wald, und brauste über die Bundesstraße davon. Nicht weiter nach Süden, sondern zurück in Richtung Lüneburg. In Uelzen erwartete ihn die Polizei.

Sie trägt ihre schwarzen gelockten Haare über dem Rücken, einen schwarzen Mantel mit hellem Fell am Saum und schwarze Leggins. Sie ist 32 Jahre alt, kommt aus Ghana und lebt in Hamburg. Sie arbeitet an der Bundesstraße 4 in einem Wohnmobil bei Suderburg.

„Er hat gesagt, gib mir dein Geld. Ich habe gesagt: bitte bitte warte. Ich habe gesagt, es ist vorne. Ich hatte solche Angst vor der Pistole. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Ich bin nach vorne und raus zur Straße. Da hielt eine Frau an und rief die Polizei.“

Daniel D. dreht sich zu ihr. Sein Anwalt sagt, er möchte eine Erklärung abgeben. Ob er das dürfe. Er faltet seine Hände noch ein wenig fester zusammen und blickt ihr das erste Mal seit dem 4. April ins Gesicht.

„Es tut mir aufrichtig leid, was ich Ihnen angetan habe. Dass ich Ihnen so einen Schock versetzt habe. Dass Sie Alpträume haben. Ich werde Ihnen nie wieder zu nahe treten.“

Sie braucht einen Moment zu begreifen. Fragt ihren Dolmetscher. Und versteht erst spät: Der junge Mann im hellgrünen Hemd auf dem Stuhl schräg rechts vor ihr, das ist der Mann, der vor sechs Monaten an ihre Hintertür geklopft und ihr eine Waffe ins Gesicht gehalten hat. Der ihr solche Angst gemacht hat, dass sie noch immer schlecht träumt.

Sie konnte ihn nicht wiedererkennen, er trug ja seine schwarze Sturmhaube.

„Es ist okay. Es ist in Ordnung.“

Daniel D. war nach eigenen Angaben ein halbes Jahr krankgeschrieben und erst wenige Tage vor seinem Überfall aus einer psychiatrischen Tagesklinik entlassen worden. Die Diagnose: klinische Depression und Persönlichkeitsstörung. Er nahm das Antidepressivum Venlafaxin. Ein paar Mal hatte er vergessen, die Pillen morgens zu nehmen. Am 4. April nahm er daher gleich zehn: die Ration für eine ganze Woche.

Richter Franz Kompisch kennt das Medikament nur allzu gut. Der Letzte, der vor ihm in Saal 21 saß und angab, unregelmäßig Venlafaxin eingenommen zu haben, saß dort wegen Mordes an seiner Frau.

„Wenn Sie ein Mensch sind, dem beim Griff in die Tasche und Finden einer Sturmhaube der Gedanke an einen Überfall kommt, müssen wir uns fragen: Was kommt als Nächstes?“