Anwohner Lothar Fricke ärgert sich über zugewucherte Entwässerungsgräben. Bürgermeister spricht von Einzelfall

Marschacht . Als Lothar Fricke im August sein Hamburger Abendblatt aufschlägt, denkt er, er liest nicht richtig. „Da stand etwas über penibel gepflegte Gräben in der Samtgemeinde Elbmarsch“, sagt der Rentner und schüttelt noch Wochen später mit dem Kopf. „Davon kann keine Rede sein.“ Das will er beweisen und lädt zu einer kleinen Rundtour durch sein Wohngebiet in Marschacht ein – sie wird an großen sauberen Gräben vorbeiführen, kleinen zugewachsenen und großen verwilderten.

Die Tour beginnt an seinem Grundstück am Kiebitzweg südlich der Elbuferstraße. „Sehen Sie“, beginnt der Rentner seine Führung, „das Grundstück liegt unter dem Straßenniveau. Das ist wie eine Badewanne.“ Da beginnt das Dilemma. Wir fahren über die Straße Hinterm Hofe ans südliche Ende des Viertels, Fricke zeigt auf einen Riss im Asphalt: „Da ist die Straße abgesackt, weil dort früher ein Graben war.“ Der ist längst stillgelegt, doch das Erdreich rutscht hinterher.

Am Ende der Straße hält Fricke, steigt aus und stapft durch saftiges Gras voran in Richtung Mais. Rechts die Gärten der Häuser, links das Feld. Rechts ein etwa ein Meter breiter Streifen Schilf, links ein etwa drei Meter breiter Streifen Schilf. „Das sind Gräben“, sagt Fricke und zeigt auf das Schilf.

Auf der anderen Seite des Maisfeldes dann präsentiert der pensionierte Telekom-Techniker das, was er überall sehen will: einen leeren Graben. „Der ist voll mit Wasser, wenn es viel regnet“, sagt Fricke. Zu Hause wird er später Fotos am Computer als Beweis zeigen. „In dem anderen, dem im Maisfeld, konnte ich am selben Tag überhaupt kein Wasser sehen. Es läuft also nicht ab. Die Grundstücke sind Seen, und hier im Graben steht kein Wasser.“

Wir steigen ins Auto, fahren zum Neubaugebiet nebenan, dem Sandhagen mit 60 Wohnplätzen. Die kleinen Gräben zwischen den Grundstücken sind fast frei, der größere am Hagenweg ist nur für denjenigen zu erkennen, der weiß, dass er existiert. Ansonsten: Schilf. Und Brennnesseln.

„Dabei steht im Entwässerungskonzept für den Bebauungsplan Nummer 13, dass regelmäßige Räumungen durchgeführt würden“, sagt Fricke und tippt auf die mitgebrachten Unterlagen. „Jeder weiß es, aber keiner macht es. Das ist Betrug am Bürger. Regelmäßig gepflegt werden nur die großen Gräben.“ Seit 1980 wohnt Lothar Fricke am Kiebitzweg. Da war noch alles in Ordnung, sagt er – auch wenn das Grundstück niedriger als die Straße lag. Da stand neben seinem Haus aber auch nur das von Nachbar Wolfgang Zwick – ebenfalls unter Straßenniveau. Nach und nach kamen mehr Häuser dazu, später war auch die gesamte andere Seite von Hinterm Hofe bebaut. Als 2007 einer der beiden Entwässerungsgräben stillgelegt und zu einem Streifen aus Bäumen und Büschen wurde, spätestens in diesem Jahr war nicht mehr alles in Ordnung für Fricke und Zwick am Kiebitzweg.

Wir sind zurück am Haus, Lothar Fricke bittet an seinen Computer. Nach Datum sortiert hat er Hunderte Fotos von Gräben, Straßen und vollen Silos auf seinem Rechner. „Bei Dauer- oder Starkregen kommt das Wasser aus den Silos wie aus Quellen wieder hoch“, erzählt er und zeigt das Beweisfoto.

Der 70-Jährige hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde ans Innenministerium in Hannover geschickt, Thema: „Unterlassung der Pflege vom Gewässer 3. Ordnung im Einzugsgebiet Hinterm Hofe/Kiebitzweg, 21436 Marschacht“. Fragt, warum er als Bürger um die Entwässerung von Baugebieten betteln muss, während er sein Auto regelmäßig zum TÜV bringen muss.

„Es kann doch nicht sein, dass Anlieger für die Pflege von Gräben zuständig sind, die ganze Gebiete entwässern“, sagt Fricke. „Das muss eine öffentliche Aufgabe sein.“ Schäden hat Fricke an seinem Haus zwar noch keine. „Das Wasser steht aber in der Auffahrt oder auf dem Rasen. Und schlimm ist die Ungewissheit: Was passiert, wenn wir im Urlaub sind?“

Nachbar Wolfgang Zwick jedenfalls stand „schon mehrmals unter Wasser“, erzählt der Kaufmann auf der Straße, als wir wieder draußen sind. „Es war schon hart an der Grenze zum Haus, ich habe einen Klempner zum Abpumpen gerufen. Und wir werden seit zwei Jahren vertröstet.“ Der 66-Jährige ist sauer. „Gegen höhere Gewalt kann niemand etwas. Aber in einem Gebiet, das stark gefährdet ist, erwarten wir, dass die Gemeinde etwas tut. Uns zu sagen, wir hätten eben Pech, das ist frech.“

Bürgermeister Claus Eckermann wirkt am Telefon leicht angesäuert, als er von der Tour der Presse mit Lothar Fricke erfährt. Bei den Betroffenen handele es sich um Einzelfälle. „Die Grundstücke sind leider zu tief gebaut“, sagt der ehrenamtliche Bürgermeister. „Die Anwohner müssen Rückschlagklappen bei sich einbauen.“ Ab einer bestimmten Wassermenge stünde das Wasser im Verbandsgraben so hoch wie auf den beiden tief liegenden Grundstücken. Da sind sich alle Beteiligten einig. Allein über die Lösung sind sie es nicht.

Schon oft habe er mit den beiden über die Thematik gesprochen, sagt Bürgermeister Eckermann. Die Gemeinde habe sogar ein externes Ingenieurbüro beauftragt – laut Gutachten reichen die Regenkanäle der Gemeinde für die Entwässerung aus. Warum die Gemeinde den Anliegern die Grabenreinigung abnehmen solle, kann Eckermann nicht verstehen. „Ich lasse die Rohrleitungen jährlich von Sand befreien“, sagt der Bürgermeister. Der Graben auf dem Maisfeld werde demnächst gereinigt, das sei mit dem Ilmenauverband abgesprochen. „Seit ich Bürgermeister bin, habe ich von keinen Problemen gehört.“ Außer von den Nachbarn Fricke und Zwick. Zwei Tage nach dem Anruf des Abendblatts beim Bürgermeister war der Graben im Maisfeld übrigens freigelegt.