Im Sprach- und Bewegungszentrum Wilhelmsburg betreiben der Sinto einen kleinen Thaiboxverein

Wilhelmsburg. Früher sei er ein richtiger Bengel gewesen, sagt Heinz Weiss über sich selbst und lacht. Zigaretten, Alkohol, andere Drogen. Die Schule hat er geschwänzt. Heute ist der 49 Jahre alte Sinto von den Elbinseln Bildungsberater, schlichtet an Runden Tischen bei Problemen zwischen Schülern, Eltern und Lehrern. Die Theaterautorin Christiane Richers hat seine Lebensgeschichte in dem Stück „Spiel Zigeunistan“ verarbeitet. Nach der Uraufführung im Januar führt das Thalia in der Gaußstraße das Klassenzimmerstück für Hamburger Schulen ab Ende September erneut auf.

„Ich bin durch den Sport anders geworden“, sagt Heinz Weiss. Sein Sport ist das Thaiboxen. Und es ist der Sport, der seinem neuen Leben ein Kapitel hinzufügt. Zusammen mit seinem Freund Riccardo D’Amato, früher einmal Vize-Europameister im Kickboxen, betreibt er im Sprach- und Bewegungszentrum in Wilhelmsburg den kleinen Thaiboxverein D’Amato Gym.

75 Mitglieder trainieren im D’Amato Gym. 50 davon in Wandsbek, 25 seit August vergangenen Jahres und mittlerweile an vier Abenden in Wilhelmsburg. Der Jüngste sei sechs Jahre alt, der Älteste „um die 50“. Von den 25 Mitgliedern der Wilhelmsburger Trainingsgruppe sind zwei Frauen. Der kleine Verein trägt noch den Namenszusatz „Hamburger Kultursportverein“, den D’Amato und Weiss aber demnächst streichen lassen wollen. Kultursportverein, das klingt irgendwie nicht.

Dabei deutet die Bezeichnung Kultursport an, dass es Heinz Weiss um mehr geht als um Leibesübungen. Wilhelmsburg ist ein Nationenschmelztiegel, ein Einwandererstadtteil. Der Bildungsberater muss nicht suchen, um auf prekäre Familienverhältnisse zu stoßen. Viele Jugendliche hätten zu Hause gar keine Erziehung, sagt Heinz Weiss. Der Sport ist Mittel, Werte wie Disziplin und Respekt zu vermitteln. „Wie führen nach dem Training kleine Seelsorgegespräche“, sagt er. Der Sportverein als Familienersatz.

Thaiboxen gilt als eine der härtesten Kampfsportarten, vielen erscheint sie als „Haudraufsport“. Die Praxis in Thailand, Kämpfer an Wetteinsätzen zu beteiligen, rückte den Sport zusätzlich ins Zwielicht. Wer die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen beim gemeinsamen Training auf dem leuchtend grünen Boden des Sprach- und Bewegungszentrums beobachtet, erhält ein ganz anderes Bild: Die Stille fällt auf. Bis auf die knappen, in ruhigen Ton gefassten Anweisungen von Riccardo D’Amato, ist kein Wort zu hören. Ausgesprochen Diszipliniert und konzentriert geht es hier zu.

Im Sprach- und Bewegungszentrum hilft der kleine Thaiboxverein, Sprachlosigkeit zu überwinden und eine Kultur des Miteinanders aufzubauen – oder zumindest eine Kultur des tolerierten Nebeneinanders: Heinz Weiss und Riccardo D’Amato lehren, auf böse Blicke nicht mit Aggression, sondern mit der Gelassenheit eines selbstbewussten Kämpfers zu reagieren und die Provokation zu ignorieren. „Mit dem Sport verlieren die Jugendlichen den Gedanken, sich auf der Straße schlagen und beweisen zu wollen“, sagt Heinz Weiss.

Trainer Riccardo D’Amato bildet Profi-Kämpfer aus, bringt sie zu Kämpfen in Thailand, wo Kämpfer als Idole geachtet sind wie Bundesliga-Fußballer in Deutschland. Früher war D’Amato einer der besten Kickboxer, war mal die Nummer neun in der Welt. Das Thaiboxen sei eine Lebenseinstellung, die nicht nur mit Kämpfen zu tun habe, sagt er. Mütter hätten ihm erstaunt berichtet, dass sich Kinder, die bei ihm trainieren, in der Schule verbessert hätten, einfach konzentrierter seien.

Dass es dem Kampfsportverein offenbar gelingt, in schwierigen Milieus zum Miteinander auf den Elbinseln beizutragen, davon ist auch der Beirat für Stadtentwicklung Wilhelmsburg überzeugt. Das Bürgerbeteiligungsgremium hat D’Amato Gym mit 1000 Euro unterstützt, damit der Verein Boxhandschuhe, Schlagpolster und anderes notwendiges Equipment für das Training anschaffen konnte. Jetzt träumen Heinz Weiss und Riccardo D’Amato von einem mobilen Boxring, der sich im Sprach- und Bewegungszentrum auf- und abbauen lasse. 5000 Euro würde so etwas kosten.

Dass Träume unverrichtet in Erfüllung gehen können, hat Heinz Weiss erst vor Kurzem erfahren. Was denn sein Traum sei, wollte Theaterautorin Christiane Richers bei einem Handyanruf von ihm wissen, die zum ersten Mal bei einem Gypsy-Musikabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg auf Heinz Weiss aufmerksam geworden war. Einmal im HSV-Stadion zu trainieren, antwortete er spontan.

Ende August durften Weiss, D’Amato und sechs Wilhelmsburger Thaiboxer in der Arena im Volkspark drei Stunden lang trainieren. Filmaufnahmen davon wird das Thalia im Frühjahr nächsten Jahres veröffentlichen.