Adolphsens Einsichten. Ziel: die Hinwendung zum Nächsten und die Überwindung der Angst

David Oppenheim und Nis Köpke sind christliche Pfadfinder in Neugraben. David ist Stammessprecher, Nis einer von 20 Gruppenleitern der fünf Gruppen. Ihr Stamm heißt „Ulrich von Hutten“. Genannt nach dem klugen Humanisten und Kämpfer für die Reformation und die Freiheit. Beide Gesprächspartner sind 17 Jahre alt. Ich treffe sie in ihrem Gruppenraum im Keller des Gemeindehauses neben der Michaeliskirche. Weil ich mit ihnen sprechen möchte, müssen die „Wölflinge“ weichen und draußen ihr Geländespiel machen. Jungen und Mädchen übrigens. Als ich Pfadfinder war, konnten nur Jungen Pfadfinder werden. „Wölflinge“ werden die Sechs- bis Neunjährigen genannt, erklären sie. Mit neun Jahren werden sie Jungpfadfinder, mit 14 dann Pfadfinder. Ich sehe niemand in der Pfadfinderkluft: graues Hemd, blaues Halstuch mit Lederknoten. „Das ziehen wir auf Fahrten an“, sagen sie, „verstehen wir nicht als Uniform. Ist wie Schulkleidung, die die sozialen Unterschiede nicht sichtbar machen soll. Und nicht wie in der HJ oder der FDJ in der DDR!“

Die Neugrabener Pfadfinder haben großen Zulauf. An anderen Orten fehlen Gruppenleiter. Wichtig ist das Prinzip „Jugend führt Jugend“. Schon immer. Eine neue Sippe ist in Gründung. Nis wird sie leiten. Er hat Erfahrung.

Stolz erzählen sie, dass sie viele passive Mitglieder zwischen 50 und 60 haben. Und dass es richtige Pfadfinderfamilien gibt, in denen Pfadfinder in der dritten Generation sind. Dann kommen sie ins Schwärmen und berichten mit glänzenden Augen von ihrem 66-jährigen Bestehen in diesem Jahr. Sie organisierten es auf einer großen Wiese am Ehestorfer Heuweg. Drei Tage haben sie gefeiert. „Wir haben dort eine riesige Jurteburg auf 200 Quadratmetern aufgebaut.“ Schwarze Jurten, ursprüngliche Nomadenzelte, sind Zelte, in denen man Feuer machen kann. Feuer und Lagerfeuer gehören immer schon zur Pfadfinderei. „Besonders schön war, dass viele Ehemalige mitgefeiert haben. Die halten uns die Treue“. Einmal Pfadfinder – immer Pfadfinder. Ich weiß, dass zu den Ehemaligen viele heutige Pastoren gehören. Auch der Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, gehört dazu. Neugraben ist eine Brutstätte für den kirchlichen Nachwuchs. Sie haben Freundschaft und eine verbindliche Gemeinschaft erfahren und sind auf eine selbstverständliche Weise religiös sozialisiert worden.

Ich frage die beiden nach ihrer Beziehung zur Kirchengemeinde. „Der Kontakt ist prima. Wir werden zu jeder Sitzung des Kirchengemeinderates eingeladen. Wir sind gut vernetzt und helfen gern bei Veranstaltungen der Gemeinde. Wir schleppen Tische und Stühle, richten das Buffet beim Jahresanfangsgottesdienst aus. Jede Gruppe gestaltet einmal im Jahr eine Andacht in der Kirche. Das Thema bestimmen wir selbst.“

Seit vielen Jahren bringen die Pfadfinder Hamburgs das Friedenslicht von Bethlehem in einen Adventsgottesdienst und verteilen es an die Gottesdienstbesucher. Es wird mit dem Flugzeug eingeflogen und wird in vielen Kirchen Deutschlands zum Zeichen des Friedenswillens. Mitglieder des Stammes beteiligen sich als Helfer bei jedem Evangelischen Kirchentag. Sie waren auch im letzten Jahr in Hamburg dabei: „Es ist ein großartiges Erlebnis mit 5000 Pfadfindern zusammen zu sein“, sagt Nis.

Ich erfahre von David, dass zu den Zielen der Pfadfinder auch die Friedenserziehung gehört. In der Bundesordnung wird das entfaltet: Ziel ist „die Veränderung der Lebensbedingungen aller mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit“. Dem dient auch die Partnerschaft von deutschen Stämmen mit Stämmen in anderen Ländern. Besonders aber die großen jährlichen Bundeslager.

Sie berichten auch von einem Bezirkslager des Bezirks Harburg mit 200 Teilnehmern in Moorburg. „Wir haben natürlich wie immer selbst gekocht. Wir achten auf biologische und fair gehandelte Produkte. Wir setzen auf Zutaten aus unserer Region.“ So wächst das Umweltbewusstsein. „Wir haben ein Spiel auf einem Bauernhof nach dem Vorbild von George Orwells Die Farm der Tiere gemacht.“ Das Buch schildert die Erhebung der Tiere in einer englischen Farm gegen die Herrschaft ihres unmenschlichen Besitzers, der sie vernachlässigt und ausbeutet. Unser Spiel endete anders als das Buch. Nicht mit der Herrschaft der Schweine, die noch schrecklicher war als die durch Menschen. Bei uns wurden die Tiere aus der Gewalt des bösen Bauern befreit.“

Was sie gespielt haben, erinnert an die Beschreibung eines weiteren Zieles der christlichen Pfadfinderbewegung: „Hinwendung zum Nächsten und die Überwindung ungerechtfertigter Abhängigkeiten, Schuldgefühle und Angst.“ Nis und David bejahen diese Ziele. Und das macht mir Mut.