Projektarbeit gibt Empfehlungen zur nachhaltigen Siedlungspolitik ab. Warnung vor Ausweisung neuer Bauflächen

Tostedt. Was ist, wenn eine Gemeinde nicht mehr wächst? Mit dieser Frage muss sich nahezu jede Kommune auseinander setzen. Der demografische Wandel ist eine der größten Herausforderungen für Politik und Verwaltung. Wie sich die Gemeinden darauf einzustellen haben, hat eine Gruppe von Frauen, die an der HafenCity Universität in Hamburg ihren Master im Stadtplanungsstudium absolvieren, am Beispiel der Samtgemeinde Tostedt untersucht.

Viele Menschen können sich in der Samtgemeinde Tostedt ihren Traum vom Haus im Grünen erfüllen und pendeln nach Hamburg zu ihrer Arbeitsstelle. Das ließ die Zahl der Einwohner insbesondere in den 70er Jahren in die Höhe schnellen. Doch da die Bevölkerungszahl zurückgeht und zahlreiche Familien das Wohnen in der Stadt vorziehen, sehen Experten inzwischen die Ausweisung neuer Bauflächen im Sinne einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung als fraglich, wenn nicht als falsch an. Zumal die Generation der Häuslebauer in den nächsten Jahren verstirbt und große, leere Häuser hinterlassen wird. Werden mehr neue Häuser gebaut, ist der Leerstand programmiert.

Doch viele Gemeinden planen an dieser Wirklichkeit vorbei und weisen weiterhin fleißig Bauland für Familien aus. „Dass der Bevölkerungszuwachs nicht mehr so stark ist, wird oft vor Ort nicht wahrgenommen“, sagt die Studentin Tina Steltner. In der Gemeinde Otter beispielsweise ist kürzlich das Neubaugebiet Ohnhorstblick mit 46 neuen Baugrundstücken entstanden, und derzeit werden 37 Einfamilienhäuser in Gartenstadt-Heidloh in der Gemeinde Tostedt vermarktet. Der Bauboom gilt als Indikator für eine beliebte, wachsende Gemeinde.

An dieser Problematik setzt die Projektarbeit von Katharina Seegelke, Delia Wiest, Tina Steltner, Viviane Raschka und Sylvia Sorg an. Die jungen Frauen geben der Samtgemeinde Tostedt und ihren Mitgliedsgemeinden Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung. Dabei setzten sie die einzelnen Mitgliedsgemeinden in Beziehung zueinander. „Es ging nicht darum, zu sagen, welche einzelne Kommune in der Samtgemeinde Tostedt besser oder schlechter dasteht“, sagt Katharina Seegelke. „Ziel war, zu zeigen, wo eine Siedlungsentwicklung Sinn macht.“

Als Kriterien flossen unter anderem die Bevölkerungsentwicklung, die verkehrliche und soziale Infrastruktur, die Nahversorgung und bestehende Immobilien in die Bewertung ein. „Je besser die verkehrliche Infrastruktur und die Einkaufsmöglichkeiten sind, desto interessanter ist ein Wohnort“, sagt Viviane Raschka.

Ein halbes Jahr lang arbeiteten die jungen Frauen am Projekt. Herausgekommen ist ein fast 200 Seiten starkes Papier. Die Studierenden empfehlen, die Gemeinde Tostedt als Grundzentrum zu stärken. Schließlich könne es teuer werden, wenn für immer weniger Kinder mehrere Grundschulen und Kitas aufrecht erhalten werden. Tostedt und die benachbarten Gemeinden Wistedt und Dohren sollten Siedlungsschwerpunkt sein. Hier sollten bestenfalls neue Baugebiete mit unterschiedlichen Wohnformen entstehen.

Die Gemeinden Heidenau, Kakenstorf, Handeloh, Otter, Welle und Königsmoor am Rande der Samtgemeinde Tostedt sollten sich hingegen eher darauf konzentrieren, Anreize zu schaffen, bestehende Immobilien zu vermitteln, bevor sie neue Bauflächen ausweisen. Problem dabei: Die Gemeinden haben wenig Einflussmöglichkeiten, da das Immobiliengeschäft auf privater Ebene abläuft. „Sie könnten dann eher eine Beraterrolle einnehmen“, sagt Tina Steltner.

Die Empfehlungen sollen nicht in Stein gemeißelt sein. Vielmehr sprechen die Studierenden von einem „Denkanstoß“. Sie hoffen, dass ihr Projekt dazu beiträgt, das Problembewusstsein bei den einzelnen Gemeinden, die ja die Bebauungspläne ausweisen und somit die Planungshoheit haben, zu schärfen. „Wichtig ist, dass nicht jede einzelne Gemeinde vor sich hin köchelt, sondern dass die Kommunen miteinander kooperieren“, so Viviane Raschka.

Katrin Peper, Stadtplanerin der Samtgemeinde Tostedt, sieht die Arbeit als Bereicherung an. „Als Tendenz ist sie spannend.“ Doch konkrete Aufträge ließen sich nicht ableiten. „Dafür müssten die Indikatoren im Einzelnen überprüft werden“, sagte sie. Auch Professor Thomas Krüger, der die Arbeit betreut hat, sieht das Ergebnis nicht als „Zauberlösung“ an. „Aber ist es methodisch sehr gut gemacht“, sagte er. Immerhin bekamen die Studierenden die Note 1,3.