Vattenfall öffnete am Sonnabend die Pforten zur Anlage in Moorburg. Viele Anwohner blieben aber lieber unter sich

Moorburg. Es wirkte wie eine konzertierte Aktion, war es aber gar nicht. Wer am Sonnabend das kleine Elbdorf Moorburg im Hafenerweiterungsgebiet besuchte, konnte innerhalb weniger Stunden sowohl das neue Kohlekraftwerk aus allernächster Nähe betrachten, sich wenig später beim Sommerfest des Vereins Elbdeich aber auch ein Bild vom kreativen Protest gegen dieses gigantische Bauwerk machen.

Für Betreiber Vattenfall ist es „eines der modernsten und umweltfreundlichsten Kohlekraftwerke weltweit“. Für seine Kritiker bleibt es ein Klimakiller, der Feinstaub und Schadstoffe in bedenklichem Umfang ausstößt. Für den Laien ist schwer zu beurteilen, wer tatsächlich Recht hat. Vermutlich beide Seiten. Denn dass in Moorburg modernste Verbrennungs- und Rauchgasreinigungstechnik verbaut wurden, dürfte unstrittig sein. Ebenso wie die Tatsache, dass der Betrieb dennoch Kohlendioxid-Emissionen freisetzt, die eine Belastung für Mensch und Umwelt bedeuten.

Seit 2007 mit dem Bau des 2,6 Milliarden Euro teuren Großprojekts begonnen wurde, wird es angefeindet und von teilweise spektakulären Protestaktionen begleitet. Die jüngste gab es gerade erst am Rande des Radrennens Vattenfall Cyclassics. Als Moorburger Bürger an der Strecke mit Transparenten und rauchenden Holzkohlegrills auf ihre Situation als unmittelbare Anrainer aufmerksam machten.

Vattenfall weiß um die Ängste und Sorgen der Nachbarn – und ignoriert sie nicht. Seit Sommer vergangenen Jahres gab der Energieversorger bislang acht Newsletter heraus, in dem das Unternehmen über den Fortgang der schrittweisen Inbetriebnahme informierte. Im jüngsten fand sich auch eine Einladung zum ersten Nachbarschafts- und Mitarbeitertag am 30. August.

Dass er ausgerechnet mit dem Sommerfest des Moorburger Künstler-Vereins Elbdeich zusammenfiel, sei reiner Zufall gewesen, versicherte Vattenfall-Sprecherin Karen Kristina Hillmer. Wie viele Moorburger tatsächlich der Einladung zur Besichtigung des Kraftwerks samt Frühstücksbüfett und Spielareal für Kinder folgten, vermochte sie nicht zu sagen. „Ich schätze, vielleicht 40 bis 45. Mit den insgesamt 550 Anmeldungen sind wir aber überaus zufrieden“, ließ sie noch wissen. Dabei konnte es kaum einen Zweifel daran geben, dass die überwiegende Mehrzahl der interessierten Besucher auf Vattenfall-Mitarbeiter und deren Familienangehörige entfielen. Sowie auf Mitarbeiter der benachbarten Raffinerie Holborn, die ebenfalls eingeladen waren.

Derweil tummelten sich beim Elbdeich-Sommerfest auf dem Gelände der ehemaligen Grundschule am Moorburger Elbdeich 249 deutlich mehr Dorfbewohner, bis zu 200 sollen es nach Schätzungen der Veranstalter gewesen sein. Zu sehen gab es unter anderem moderne Malerei von Maxime Guinard und Christine Devollai, Fotografien und Collagen von Irma Hagel, Skulpturen und Plastiken von Nils Knott und Sangeetha, aber auch märchenhafte Keramik und Siebdruckarbeiten sowie den Film „Im Juli“ von Fatih Akim.

Und eben jene Sonderausstellung, die den fortgesetzten Widerstand gegen das Kohlekraftwerk nachzeichnet. „Durch die hier gezeigten Daten, Fakten, Fotos und Dokumente kann man sich ohne großartiges Vorwissen einen Eindruck von dieser Anlage und ihrer Wirkungsweise verschaffen“, sagte Stefan Melkow. Das sei vor allem deshalb wichtig, weil die Vattenfall-Informationen doch oft als Eigenwerbung daherkämen und so kein realistisches Bild von den Auswirkungen des künftigen Betriebs zuließen.

Ersten Schätzungen zufolge soll das Kohlekraftwerk Moorburg jährlich bis zu neun Millionen Tonnen Kohlendioxid produzieren. Das wäre doppelt so viel wie alle CO2-Emissionen des gesamten Hamburger Verkehrs. Eine von Greenpeace beauftragte Studie der Uni Stuttgart aus dem April 2013 errechnete allein durch die zu erwartenden Schadstoffemissionen des Kraftwerks Moorburg angeblich 583 verlorene Lebensjahre innerhalb von zwölf Monaten, was etwa 54 Todesfälle bedeuten würde. Damit läge die Moorburger Anlage aktuell auf Rang neun unter Deutschlands Kohlekraftwerken.

„Dass sich die Leute mit dieser Situation kritisch auseinandersetzen, ist doch nachvollziehbar“, sagt Clemens Reichle, 33, selbst Vater zweier Kinder. „Wir wohnen direkt unterhalb des Kraftwerks, können es aus dem Schlafzimmerfenster sehen. Was da teilweise jetzt schon aus den Schloten quillt, ist manchmal echt beängstigend. Die Schwaden sind so dicht, dass die Sonne nicht mehr durchkommt.“ Die Familie bemühe sich, die Szenerie nicht jeden Tag zu thematisieren. Ob das auf Dauer gelinge, sei aber mehr als ungewiss.

„Für ein Recht auf Dorf in der Stadt“, lautete das Motto des jüngsten Elbdeich-Sommerfests. Dass Moorburg und „sein“ Kraftwerk näher zusammengerückt sind, lässt sich nicht wirklich belegen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kraftwerks-Direktor Dr. Karsten Schneiker inzwischen selbst ein Moorburger ist und in dem Dorf wohnt.