Vereine und Initiativen tragen neues Internetportal. Auch Harburger machen mit und tragen Leerstände ein

Harburg. Immer mehr Menschen ziehen in Großstädte wie Hamburg. Aus diesem Grund müsste eigentlich jeder verfügbare Raum ausgenutzt werden und doch – so paradox es klingt – stehen in der Hansestadt mehr als 850 Gebäude größtenteils leer. Das haben die User des Internetportals Leerstandsmelder.de zusammengetragen. In Harburg liegt die Zahl mit nur 25 Einträgen weit darunter, dafür gibt es mitten in der Stadt prominente, leer stehende Gebäude wie das Harburg Center oder das ehemalige Phoenix Verwaltungsgebäude. Beide sind in privater Hand, beide stehen schon seit mehr als fünf Jahren leer.

„Auf solche räumlichen Potenziale wollen wir mit unserem Internetportal aufmerksam machen”, sagt Kristina Sassenscheidt, Mitgründerin des Leerstandmelders. Deshalb hat sie zusammen mit dem Stadtplaner Michael Ziehl Ende 2010 in ehrenamtlicher Arbeit die Plattform gestartet, auf der jeder Leerstände eintragen kann. „Wir haben die Oberfläche so einfach und neutral gestaltet, dass jeder mitmachen kann, ob Stadt-Aktivist oder Oma mit Hund”, sagt die studierte Architektin Sassenscheidt. Schnell bekommt jeder, der sie Seite aufruft, einen Überblick, wo sich ein Gebäude befindet, seit wann es leer steht und ob es sich in privater oder öffentlicher Hand befindet. Die meisten Informationen sind dabei von den Nutzern zusammengetragen. Die Gründer verwalten vor allem die Webseite.

Als ehemalige Pressesprecherin des Denkmalschutzamtes beschäftigt sich Kristina Sassenscheidt schon lange mit den Gebäuden der Hansestadt. „Die Idee zum Leerstandsmelder entstand eigentlich aus einem inneren Antrieb heraus. Es hat mir schon immer das Herz gebrochen, leer stehende Gebäude zu sehen und zuschauen zu müssen, wie sie verfallen”, erklärt sie ihre Motivation. Dass das Portal heute in dieser Form existiert, hat vor allem mit dem Gängeviertel zu tun. Hier habe sie das Team und die Infrastruktur gefunden, um das Konzept mitzuentwickeln und umzusetzen.

Der Leerstandsmelder soll jedoch nicht nur einen Überblick verschaffen, sondern er vermittelt auch konkrete Handlungsempfehlungen, wie Leerstand vermieden werden kann. So sollten nach Ansicht der Leerstandsmelder Leerstände besteuert werden, wie es in Paris geschieht. Außerdem schlagen sie vor, städtische Immobilien unbürokratisch für Zwischennutzungen frei zu machen. Gerade in Großstädten führt die Wohnungsknappheit zu ständig steigenden Mieten. Kristina Sassenscheidt sieht aber auch ökologische Zusammenhänge: „In der Regel profitieren nur die Investoren davon, wenn sie Altbauten verfallen lassen, um sie irgendwann durch Neubauten zu ersetzen. Die langfristigen ökologischen Kosten von Abriss und Neubau trägt jedoch die Gesellschaft, und oft geht dabei auch wertvolle Baukultur verloren.“

Insgesamt tragen mehr als 3500 User in mehr als 25 Städten im deutschsprachigen Raum leer stehende Gebäude ein. Auch in Harburg gibt es einige aktive Nutzer. Einer von ihnen ist Werner Gottwald: „Es gibt viele Gebäude in Harburg, die mit einer Zwischennutzung zum Beispiel das Flüchtlingsunterkunftsproblem zumindest temporär lösen könnten.” Der Aktivist, der in den 80er Jahren auch bei Hausbesetzungen in München dabei war, trägt seit Ende 2013 Gebäude in Harburg ein. „Wenn ich ein Haus sehe, das nicht genutzt wird, informiere ich mich im Internet und in Zeitungen darüber. Dann trage ich es auf der Webseite ein”, erläutert Gottwald sein Vorgehen.

Auch seine tägliche Fahrradtour hat der 57-jährige so gelegt, dass er an vielen Gebäuden, die im Leerstandsmelder eingetragen sind, vorbeischaut. So könne er immer überprüfen, ob sich nicht doch etwas an der Situation geändert hat. „Früher hat man mit Kerzen und Bannern an den Häusern auf einen Leerstand aufmerksam gemacht, heutzutage können wir das alles über das Internet einsehen und transparent machen”, sagt Gottwald.

Diese Eigenständigkeit der Nutzer ist der größte Vorteil für die Seite, aber auch eine Schwachstelle. Denn gäbe es nicht so viele aktive Nutzer wie Werner Gottwald, die Informationen recherchieren und die Situation vor Ort kontrollieren würden, wären viele Einträge nicht aktuell und es würde ein falsches Bild der Leerstände vermittelt.

Der Leerstandsmelder kann aber nur transparent machen, wo ein Gebäude leer steht und auf diese Weise öffentlichen Druck auf den Eigentümer aufbauen. Eine konkrete gesetzliche Handhabe haben jedoch nur die Bezirksämter. Hier gibt es die Abteilung Wohnraumschutz, die sich unter anderem damit beschäftigt, ob private Wohnungen länger als vier Monate leer stehen. Die müssen nach der Vorschrift des Hamburgischen Wohnraumschutzgesetzes gemeldet werden.

Marita Kirste, Mitarbeiterin des Wohnraumschutzes des Bezirksamts Harburg, sagt: „Auch wir benutzen den Leerstandsmelder als Informationsquelle. Jedoch haben wir gemerkt, dass die Angaben häufig fehlerhaft sind.” Außenstehende könnten schließlich nicht wissen, ob Gebäude gewerblich oder privat genutzt werden.

Durch den großen Erfolg und Zuspruch für den Leerstandsmelder sind auch einige Neuerungen in Planung. So soll es mit der Entwicklung einer App zukünftig für die User noch einfacher werden, Leerstände direkt einzutragen. Da das Projekt ehrenamtlich von den beteiligten Vereinen und Initiativen getragen wird, soll zur Finanzierung eine Crowdfunding-Kampagne gestartet werden. „Wir wollen damit unserem großem Ziel, maximale Transparenz zu schaffen, ein Stück näher kommen”, sagt Kristina Sassenscheidt.