Es waren nicht viele Harburger am Streckenrand der Cyclassics. Dafür waren es allerdings echte Enthusiasten

Harburg/Rosengarten . Trotz des blauen Himmels und angenehm frischen Wetters gab es entlang der Strecke durch den Süden von Hamburg und die Nordheide bei den Vattenfall-Cyclassics lange nicht mehr so viele Zuschauer, wie in den Vorjahren. Aber die, die es sich trotzdem nicht nehmen ließen, die Amateure und Radsportprofis anzufeuern, hatten jede Menge Spaß.

Am Harburger Ring steht Karl-Heinz Knabenreich mit einem Mikrofon in der Hand. Der 76-jährige ist radsportverrückt. Früher fuhr er noch selbst große Amateurrennen und auch heute sieht man ihm an, dass er den Vorbeiradelnden am liebsten hinterherstrampeln würde. Aber Knabenreich hat eine Aufgabe: Unermüdlich erklärt er den Zuschauern, was gerade passiert, sagt den Jedermännern, wie weit es noch bis zum Ziel ist und begrüßt Honoratioren aus Radsport und Stadtteil. Knabenreich kennt viele: Er ist selbst im Radsportverband aktiv und leitet die Rad-Abteilung im HTB.

„Die Doping-Affären haben dem Ansehen des Radsports geschadet“, sagt er. „Es gab einen richtigen Knick in der Zuschauerzahl. Für die Jedermänner ist die Unterstützung noch etwas größer als für die Profis. Das ist für die Cyclassics ein großer Vorteil.“

Etwas weiter ringabwärts steht Familie Kleinau aus Neugraben. „Wir wissen, dass woanders an der Strecke mehr los ist, aber wir sind jedes Jahr hier“, sagt Mutter Yvonne. Die Söhne Leon, Kevin und Christopher sind selbst Radsportfans und gerne im Sattel. „Am meisten Spaß macht das Jedermännerabklatschen“, sagt Leon. „Man hält die Hand hin, und ganz viele Radler schlagen ein.“ An ihrem Standort wird Familie Kleinau auch Zeuge eines besonderen Harburger Cyclassics-Phänomens: Manchem müden Jedermann erscheint das S-Bahn-Schild der Station Harburg-Rathaus verlockender, als die Aussicht auf weitere 15 Kilometer oder gar die Schmach des Lumpensammler-Busses. Die meisten allerdings haben den Ehrgeiz, zu beenden, was sie begannen.

An der Kirchstraße in Nenndorf haben sich Nachbarn schon um halb acht Uhr morgens vor der Haustür getroffen und es sich gemütlich gemacht: Sonnenschirm, Bierbänke und eine Musikanlage gehören selbstverständlich für die Radsportfans dazu, die erst einmal mal gemeinsam frühstückten, während die ersten Fahrergruppen der Amateure an ihnen vorbeirasen.

Selbstverständlich sind sie auch in Sachen Geräuschkulisse bestens ausgerüstet. Neben den ohrenbetäubenden Handrasseln von Vattenfall gibt es auch exotischere Lärmquellen. So hatten einige in der Fankiste gewühlt und Passendes zutage gefördert: „Ich habe noch eine alte Vuvuzela gefunden“, erzählt einer der Zaungäste stolz und trötet hinein.

Was die Radler angeht, gibt es von den Nenndorfern leichte Kritik: „Die ersten heute Morgen waren ganz schön muffig, erst die, die später kamen, haben auch mal gewinkt“, berichtet eine Dame, „es war wohl noch zu früh für die.“

Mindestens ebenso so früh raus, wie die ersten Jedermänner mussten die Helfer, so auch die Freiwillige Feuerwehr Leversen. Ortsbrandmeister Andreas Schmidt sorgt mit seinen Leuten dafür, dass an dem nicht ganz ungefährlichen Abschnitt – eine enge Kurve mit schadhaftem Belag – zwischen Sottorf und Leversen alles gut geht und gestürzte Fahrer schnell in Sicherheit gebracht und behandelt werden können. Auch in Leversen sind die Feuerwehrleute und ein paar Freunde, die vorbeikommen, die einzigen Zaungäste. Für die Kinder ist es der größte Spaß, das Feuerwehrauto zu entern und auf den Sitzen zu hopsen. Der kleine Lasse Einhaus findet natürlich die Fanratsche am besten und rattert damit inbrünstig – ob gerade ein Rennradler vorbeikommt oder nicht, ist dem Dreijährigen ziemlich schnuppe. Die Strecke rund um Leversen ist auch das Einsatzgebiet von Egon Dickmann. Seit der ersten Ausgabe des Rennens sichert der Polizeibeamte auf dem Motorrad Streckenabschnitte der Cyclassics. Bis auf ein Jahr, in dem er auf der Expo in Hannover eingesetzt war, hat Dickmann alle 19 Jahre Cyclassics miterlebt. Der Einsatz heute ist sein letzter Arbeitstag. Der Beamte, der viele Jahre für die Autobahnpolizei in Winsen auf dem Motorrad saß, geht in den Ruhestand.

In Ruhe stehen kann Karl-Heinz Knabenreich nicht: Gerade sausen die Profis über den Ring: Sprintwertung! Nach wenigen Sekunden ist das Feld durch. Die Zuschauer zerstreuen sich schnell. Es waren nicht viele.