Was passiert, wenn der Pegel der Ilmenau nicht mehr reguliert werden kann? Verein setzt sich für den Erhalt der historischen Wehre ein

Sturmflut, Starkregen, Elbehochwasser: Vor diesen drei Dingen hat Rolf Roth derzeit noch keine Angst. Das Wörtchen noch aber darf an dieser Stelle nicht fehlen. Denn: Wiesen und Felder in der Samtgemeinde Elbmarsch sind schon jetzt regelmäßig überflutet. Und wenn der Ilmenau-Kanal eines Tages nicht mehr so viel Wasser aufnehmen kann wie jetzt, dann hat der Samtgemeindebürgermeister Angst um die Häuser.

„Die Samtgemeinde Elbmarsch liegt zwischen 1,50 Meter und sechs Meter über dem Meeresspiegel, also insgesamt sehr tief“, erklärt Rolf Roth. „Deshalb haben wir mit jeder Änderung des Wasserpegels und des Grundwasserstands zu kämpfen.“ Sollte der Ilmenau-Kanal nicht mehr in dem Maße gepflegt und ausgebaggert werden wie bisher, fragt sich Roth: „Welche Möglichkeiten haben wir etwa bei einem Elbehochwasser, Wasser über den Kanal abzuleiten?“

Die Elbmarsch besitze ein ausgeklügeltes historisches System aus Be- und Entwässerung, Gräben werden daher penibel freigehalten. Noch läuft bei einer Sturmflut, bei Starkregen oder einem Hochwasser der Elbe nur der ein oder andere Keller voll. „Wenn sich jedoch etwas ändert im System, müssen wir uns Gedanken machen.“

Hintergrund der Gedankenspiele ist die mögliche Entwidmung der Ilmenau als Bundeswasserstraße. Derzeit ist der Bund zuständig für den Fluss, doch das Bundesverkehrsministerium möchte seine Aufgabe ans Land abgeben. Außerdem sollen die drei Schleusen mit ihren denkmalgeschützten Nadelwehren in Bardowick, Wittorf und Fahrenholz aufgegeben und durch sogenannte Sohlgleiten ersetzt werden.

Von den denkmalgeschützten Nadelwehren gibt es in ganz Niedersachsen noch vier, drei davon an der Ilmenau: in Bardowick, gebaut um 1930, sowie in Wittorf und Fahrenholz, gebaut um 1900 und 1888. Menschen müssen sie von Hand bedienen, indem sie senkrecht stehende Eichenbalken (=Nadeln) nach oben ziehen und somit Wasser durch das Wehr lassen.

Bis vor vielleicht 15 Jahren haben das noch drei Schleusenwärter gemacht, sie hatten ein Hausboot und einen eigenen Koch. Heute machen das Angestellte des Wasser- und Schifffahrtsamts, die ihr Büro in Wittorf haben und regelmäßig zu den Wehren rausfahren. Da das Ganze nicht ungefährlich ist und aufwendig, werden Nadelwehre schon lange nicht mehr gebaut.

Laut dem Lüneburger Bundestagsabgeordneten Eckhard Pols (CDU) seien „Sekundärschäden an den Häusern und für die Natur entlang der Ilmenau ausgeschlossen, sollte der Betrieb an drei Ilmenauschleusen im Bereich von Stadt und Landkreis Lüneburg eingestellt werden“, das habe das zuständige Staatssekretär Enak Ferlemann deutlich gemacht.

Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) hält die Wehre für arbeitsschutzrechtlich bedenklich, antwortete er auf eine Anfrage der Lüneburger Landtagsabgeordneten Andrea Schröder-Ehlers (SPD). Die Nadelwehre bergen laut Wenzel insbesondere in den Wintermonaten durch Eisgang ein hohes Verletzungsrisiko. „Ob die Nadelwehre vor diesem Hintergrund weiter langfristig erhalten werden können, ist nach Auffassung der Landesregierung bisher ungeklärt.“

Die Auswirkungen einer möglichen Absenkung des Wasserstands hält Wenzel für „grundsätzlich beherrschbar“. Vom Gegenteil sind nicht nur die Landräte Manfred Nahrstedt (SPD) und Joachim Bordt (FDP) überzeugt, sondern auch Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) – und Gustav Rieckmann, Vorsitzender der CDU-Fraktion in Bardowick und Mitgründer des Vereins Historische Ilmenau.

„Wenn das Wasser zu niedrig steht, fallen die Gräben trocken und die Amphibien sterben“, sagt der Vereinsvorsitzende. Hauptziel des vor einem Jahr gegründeten Vereins ist daher, die Regulierbarkeit des Wasserstands der Ilmenau zu erhalten. „Mit Sohlgleiten ist das nicht möglich, sie sind fest. Zudem müsste der Wasserstand in Anbetracht möglicher Hochwasser von vornherein viel niedriger angesetzt werden als jetzt.“ Fällt der Pegel zu niedrig, sei das wiederum ein Problem für das umliegende Grünland. Und in Acker dürfen die Flächen wegen der Richtlinie des Flora-Fauna-Habitats nicht umgewandelt werden. „Hier greift ein Rad ins andere. Dreht man an einer Stelle, verändert sich an vielen etwas.“

Die Naturschutzorganisationen NABU und BUND habe der Verein daher im Boot, auch der Landkreis Lüneburg ist seit diesem Monat Mitglied.

Weitere Ziele des Wittorfer Vereins: die Schiffbarkeit der Ilmenau zu erhalten – und die historischen Nadelwehre.

Daher könnte die Region sie stärker für den Tourismus vermarkten, denkt Rolf Roth in Marschacht: „Die Wehre haben wir bislang nicht hoch genug geschätzt. Es gibt Potenzial, ihren touristischen Aspekt auszuweiten.“ Apropos Tourismus: Die Samtgemeinde Elbmarsch schließt zurzeit die Lücke des Elberadwegs in der Ortschaft Tespe. Weil Radler dort bislang auf der Straße fahren mussten, wechselten viele die Flussseite nach Schleswig-Holstein. Jetzt hofft Roth auf zügige Änderungen in den Karten – und darauf, dass die Radfahrer auf seiner Seite der Elbe bleiben und in den Cafés einkehren.