Umland-Lust: Rund um Hamburg auf Entdeckungstour. Heute: Geschichte und Genuss auf der östlichen Elbseite

Die Begrüßung ist braun und heißt Bruno. Bruno ist ein Bayrischer Gebirgsschweißhund und der Hofhund von Konau 11. Das jahrhundertealte Bauernhaus ist das neue Schmuckstück des Marschhufendorfes und Startpunkt unseres Ausflugs an die Elbe, die hier einst zur DDR gehörte.

Annegret Becke, ihr Mann, ihre Tochter und ihr Hund leben hier seit vorigem Winter. Lange in Hamburg gewohnt, sind die Sozialpädagogen vor 13 Jahren in die Region gezogen und haben ein paar Dörfer weiter einen Ferien- und Seminarhof betrieben.

Einst Teil der EXPO 2000 in Hannover, verfiel das große Hallenhaus mit seiner Remise immer mehr. Dann kaufte es die Sparkassenstiftung Lüneburg, sanierte die Anlage aufwendig und fand Familie Becke als Mieter und Museumswärter. Denn in der Remise liegt eine von drei Ausstellungen im Ort: „Wendepunkte“ heißt sie.

Konau liegt auf der östlichen Seite der Elbe. Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte es zu Niedersachsen, danach zur DDR, und seit 1993 wieder zu Niedersachsen. Die Elbe bildete die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten. Und das ist noch heute sichtbar – weil engagierte Menschen dafür sorgen.

In seiner Grundstruktur vollständig erhalten, ist das Dorf auf der Welt einzigartig und steht komplett unter Denkmalschutz. Die Kapelle am Eingang des Ortes ist der einzige Kirchenneubau innerhalb des Grenzgebiets, den die DDR-Regierung erlaubt hat. Bis in die 1970er-Jahre gehörte die Kapelle zur Landeskirche Hannover – trotz innerdeutscher Grenze.

In Konau stehen ein ehemaliger Wachturm sowie ein Stück Streckmetallzaun dort, wo sich über Jahrzehnte kein Mensch aufhalten durfte, weil das Ufer Sperrgebiet war. Ein grenzhistorischer Rundweg verbindet Ausstellungen und Denkmale. Die Ausstellung „Von Leichen-, Leu- und Leiterwagen“ bei Hausnummer 3 erzählt von der uralten Landwirtschaft im Ort, im direkten Nachbardorf Popelau informiert in Hausnummer 29 die Ausstellung „Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze“ über zwei Aktionen der DDR-Regierung in den Jahren 1952 und 1961, als sie insgesamt 11.000 Menschen an der Elbe aus ihren Häusern vertrieb.

Das Dorf haben sich heute viele für einen Neuanfang ausgesucht. Saskia Kuntzsch-Zschoch und ihr Mann – Professor an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater – haben aus Hausnummer 25 die „Frohe Zukunft“ für Lesungen, Theater und Musik gemacht. Vor jeder Vorstellung gibt es Getränke und Häppchen im hofeigenen Garten.

Und in Nummer 11 lebt nicht nur Familie Becke mit Bruno. Annegret arbeitet in Hamburg, von donnerstags bis sonntags bietet das Paar Kaffee im Garten an. Derzeit noch als Kiosk-Betrieb, will Annegrets Mann Mitte Oktober im Nebengebäude das Café Gelber Richard eröffnen, benannt nach dem Apfel des Jahres. Denn zweiter Hauptnutzer des Hauses ist der Verein Konau 11 Natur. Die Truppe rund um Cornelia Breetz und Julia Gerdsen setzt sich für den Erhalt der 60 Kilometer langen Obstbaumalleen in der Gegend rund um Konau und Neuhaus ein, beschneidet und beschriftet Tausende Äpfel-, Birnen- und Pflaumenbäume.

In erster Linie geht es dem Verein dabei um den Erhalt von alten Sorten wie dem wohlklingenden Geflammten Kardinal, Nathusius’ Taubenapfel und Harberts Renette. Konau 11 besitzt daher auch eine Mosterei, eine eigene Streuobstwiese, einen Staudengarten und ein Insektenhotel.

Der Hof verkauft außerdem Produkte der Region, im geplanten Café zukünftig noch mehr als bisher. Denn die darf sich erste Arche-Region Deutschlands nennen. Privatleute halten hier Haus- und Nutztiere, die vom Aussterben bedroht sind. Die alten Rassen sind nicht leistungsstark genug für die Ansprüche der derzeitigen industriellen Tierhaltung, dafür aber häufig wesentlich resistenter gegen Keime und Krankheiten.

Warum sie bewahrt werden sollten, erklärt uns eine Ausstellung im nächsten Ort: Neuhaus. Wir leihen uns in Konau 11 eins der von der Stiftung gekauften Fahrräder (die erste Stunde ist kostenlos) und radeln durchs Grün gen Osten. Und spüren gleich: Diese Gegend entschleunigt. Nicht nur, weil die Menschen hier so entspannt sind. Auch, weil die Räder keine Gangschaltung besitzen. Mal eben im üblichen Tempo nach Neuhaus düsen? Keine Chance. Zwischen raschelnden Weiden führt der Weg entlang, immer wieder hängen Äpfel auf Augenhöhe. Im 17. Jahrhundert hat es hier die Anordnung gegeben, Landstraßen mit Obstbäumen einzufassen. Sie trägt im Wortsinn noch heute Früchte.

In Neuhaus angekommen, geht es links in Richtung Ortsmitte, und nach ein paar Kurven lugt ein Fachwerkbau hinter einer Hofeinfahrt hervor. In dem ehemaligen Krankenhaus betreibt Holger Hogelücht im Erdgeschoss die Tourist-Information, im ersten Stockwerk ist seit vorigem Jahr das Archezentrum zu Hause.

Alte Rassen sind wichtig, nicht nur für den ethischen Erhalt der Vielfalt, sondern auch für den Genpool: Wenn einer der wenigen Hochleistungsrassen ein Problem mit Krankheiten bekommt, hat unter Umständen die ganze Tierzucht ein Problem. Gut, wenn es dann gesunde Gene zum Einkreuzen gibt.

Die Tiere sind auf zahlreiche Höfe der Region verteilt, eine Karte zeigt, wo. Ein paar Deutsche Reichshühner und Deutsche Lachshühner sind derweil draußen vor der Tür zu begucken. Sie gehören Siegrun und Holger Hogelücht. Im Erdgeschoss des Fachwerkbaus beantwortet er die Fragen der Ausflügler. Auch Holger Hogelücht ist einer der Großstädter, die es an die Elbe gezogen hat. Der geborene Hamburger wechselte mit seiner Frau vor 15 Jahren den Lebensort. Zur Arbeit fährt er noch ab und zu in die Metropole, und weil er schließlich immer noch an der Elbe lebt, haben Freunde ihm zum 50. Geburtstag ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Elbkind“ und der Hamburger Skyline geschenkt.

Siegrun Hogelücht ist promovierte Ärztin, hat in Hamburg studiert und gearbeitet – bis Nachtdienste und die Angst vor Fehldiagnosen sie nicht mehr haben schlafen lassen. Jetzt arbeitet sie zu einem Teil in der Tourist-Information und zum anderen Teil als zertifizierte Landschaftsführerin des Biosphärenreservats Niedersächsische Elbtalaue.

Zurzeit liegt ihr Arbeitsort an jedem Wochenende auf dem Wasser: Siegrun Hogelücht bietet Floßtouren über die Elbe an. In Darchau geht es los, per Solarantrieb steuert das Holzfloß je nach Strömung vier Kilometer flussaufwärts, dann geht’s zurück – zwei Stunden dauert die Tour, und die Kapitänin erzählt von Seeadlern und Bibern, Ausbaggerung und Buhnen, Grenztürmen und Zwangsaussiedlungen. Denn damit hat die Wahl-Neuhauserin Recht, wenn sie zu jungen Mädchen auf dem Floß sagt: „Ihr könnt euch ja gar nicht mehr vorstellen, dass hier mal die Grenze zwischen zwei Ländern war.“