Die Gitarre klampft, der Kassettenrekorder leiert, die proletarischen Massen singen trotzig mit: „Thälmann ist niemals gefallen, Stimme und Faust der Nation!“

Marmstorf.

Gut: Massen ist maßlos übertrieben. Ein halbes Dutzend Männer und eine Frau sind es, die sich in Marmstorf zum 70. Todestag von Ernst Thälmann eingefunden haben. An der Skulptur „Turm der Vögel", die ein Unbekannter vor einiger Zeit per Messingschild zum Thälmann-Denkmal umwidmete, legen sie einen Kranz nieder.

Am 18. August 1944 wurde Ernst Thälmann im KZ Buchenwald getötet. Die Nazis hatten ihn schon 1933 verhaftet. Bis dahin war der Krämersohn und Hafenarbeiter Vorsitzender der KPD und Reichstagsabgeordneter gewesen. Böse Zungen behaupten, dass es der Nachkriegsführung der kommunistischen Partei wohl ganz recht gewesen sei, dass die Nazis Thälmann ermordeten. Sonst hätte sich die Gruppe um Walter Ulbricht mit dem charismatischen Querkopf auseinandersetzen müssen. So konnten sie ihn heroisieren: Spanienkämpfer, Rotfrontkämpfer, Märtyrer. In der DDR gab es einen regelrechten Thälmannkult. Die dünne Quellenlage verschaffte den SED-Historikern genügend kreative Freiräume.

Mit straff stalinistischen Rotfrontlern hatten die Marmstorfer Kranzniederleger und Liederabsänger allerdings weniger zu tun, als mit Harburger Spaßguerilla. Die Inbrunst und Entschlossenheit, mit der eine ordentliche FDJ-Brigade gesungen hätte wich doch der einen oder anderen Kicherzeile und in der Ansprache, die Veranstaltungsorganator Ilya Margulin hielt, wurde ein Teil des Thälmannschen Wirkens schlicht nach Marmstorf verlegt. Thälmann hat eben schon immer die Historikerfantasie beflügelt.