Im Jahr nach dem Hochwasser zählen die Betriebe mehr Gäste als 2012. Elbe-Radweg bleibt trotz Sperrungen und Schäden der beliebteste Deutschlands

Bleckede. Manchmal kommen ihr noch heute die Tränen, wenn sie an den Juni vor einem Jahr denkt. Nicola Van Den Handel wischt die Frühstückskrümel von den weißen Tischdecken in ihrem kleinen Hotel am Bleckeder Hafen und hält für einen Moment inne. „Am 15. Mai 2012 habe ich das Elbhotel eröffnet“, sagt sie. „Am 10. Juni 2013 stand das Wasser mir hier bis zu den Knien.“ Mehr als ein Jahr nach dem bisher höchsten Hochwasser aller Zeiten kämpfen Betriebe noch immer mit den Folgen. Insgesamt haben voriges Jahr aber trotz Flut mehr Menschen in den Hotels und Pensionen der Landkreise Harburg und Lüneburg übernachtet als 2012.

Nicola Van Den Handel hat keinen Deich zwischen ihrem Hotel und der Elbe. Vom Frühstückstisch blicken die Gäste direkt aufs Wasser. Malerisch, wenn der Fluss so flach fließt wie in diesem Sommer. Bedrohlich, wenn er so hoch ansteigt wie im vergangenen Jahr. 50 Prozent Ausfall muss die Geschäftsführerin für 2013 verkraften – und das ein Jahr nach den Anfangsinvestitionen. Den Schaden schätzt sie auf 78.000 Euro, wie viel sie davon ersetzt bekommt, ist noch nicht klar. Die Pächterin musste ihre Angestellten entlassen, sich selbst zahlt die Geschäftsführerin seit einem Jahr kein Gehalt. In dieser Saison hat Van Den Handel ihre neun Zimmer zwar gut belegt und ist am Wochenende regelmäßig ausgebucht. Über eine Schließung denkt sie trotzdem nach.

Mehr Glück hatte das Fährhaus Bleckede ein paar Schritte weiter in Richtung Anleger. Zwei Metallschilder hängen an der Außenwand neben der Treppe, die zu der im ersten Stock liegenden Lokalität führen. Die Marke mit den eingravierten Zahlen „12.06.2013 11,93 m“ liegt zwei Hände breit unter den Füßen der Tische und Stühle. Wirtschaftlich hat den Pächter das Glück allerdings nicht gerettet: Nach den Betriebsausfällen in den Hochwasser-Jahren 2013 und 2011 hat er aufgegeben. Jetzt führt der Inhaber selbst das Restaurant.

Zwar haben die Deiche gehalten, die Betriebe in den Landkreisen Harburg und Lüneburg haben aber durch das unter den Wällen durchsickernde Qualmwasser oder weil sie vor den Deichen liegen insgesamt 1,5 Millionen Euro an Schäden gemeldet. Zu addieren sind außerdem die Ausfälle, weil die Betriebe vier Wochen lang schwarze Kreuze in ihre Kalender malen können: Da ist die Saison schlichtweg ausgefallen.

Jens Kowald wird daher schnell ärgerlich, wenn er an den Sommer vor einem Jahr denkt. Der Touristikfachwirt ist Geschäftsführer der Flusslandschaft Elbe GmbH. Seinen Arbeitsplatz hat Kowald im Bleckeder Schloss, der Weg in sein Büro führt an jahrhundertealten Treppengeländern vorbei und über knarzende Holzdielen. Seit fünf Jahren macht die Gesellschaft Werbung für die Elberegion in den Landkreisen Harburg und Lüneburg, genauso lange ist Kowald schon der Chef der Truppe, die 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr für Informationssuchende erreichbar ist.

„Das Leben an der Elbe ist kein anderes als an anderen Seen und Flüssen oder der Nordsee“, sagt Kowald und spielt auf die pauschale mediale Berichterstattung über „die“ Elbe während des Hochwassers an. „Wir hatten Vorsichtsmaßnahmen und teilweise Sperrungen und Evakuierungen, Gefahr bestand hier aber für niemanden. Die Gäste hätten ganz normal kommen können.“ Bei der nächsten Flut will der Werber daher engen Kontakt zu den Behörden halten und die Gastwirte selbst über die aktuellen Pegelstände und Voraussagen informieren. „Das hat im vorigen Jahr überhaupt nicht stattgefunden“, gibt er zu. „Wir wollen aber, dass die Betriebe sicher und kompetent Auskunft geben können.“

Das Fazit von Jens Kowald zur Lage des Tourismus’ an der Elbe im Jahr nach dem Hochwasser ist einfach und eindeutig: „Die touristische Region war stärker als das Hochwasser.“

Die Begründung liefert der Touristikfachwirt direkt hinterher – und legt eine ausgedruckte Tabelle auf den Schreibtisch: Insgesamt 5000 Übernachtungen mehr meldeten die Beherbergungsbetriebe aus Seevetal, Winsen und Bleckede (!) 2013 an den Landesbetrieb für Statistik als 2012.

Wobei die positiven Zahlen ausschließlich für Hotels und Pensionen gelten, also Herbergen mit einem festen Dach über den Köpfen der Gäste. Eindeutige Verlierer der Saison 2013 sind die Campingplätze an der Elbe. Tragisch: Das gilt auch für die, die mit dem Hochwasser gar nichts zu tun hatten – weil sie wie etwa in Stove auf der anderen Seite der Staustufe Geesthacht liegen. Nur gut 60.700 Übernachtungen anstelle von 74.700 im Vorjahr – das ist ein Minus, das die Betreiber in einer Saison nicht ausgleichen können.

Unterm Strich kommt ein Minus von mehr als 12.000 Übernachtungen heraus – und doch sind es mit knapp 280.000 immer noch mehr als in den Jahren 2009 und 2010 mit 250.000 respektive knapp 259.000. Kowald, Mitglied im Tourismusausschuss der Industrie- und Handelskammer (IHK) Lüneburg-Wolfsburg, ist daher sicher, dass die Region spätestens 2015 über die Zahlen von 2012 weit hinaus kommen wird. Und zu 2014 sagt er: „Es wäre schlimm, wenn wir nur das Niveau von 2012 erreichen würden.“ Die Saison laufe „wie verrückt“.

Bemerkenswert: Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC hat den Elberadweg in diesem Frühjahr zum zehnten Mal in Folge zum beliebtesten Fernradweg Deutschlands gekürt – trotz aller Einschränkungen und Schäden durch die Flut im Vorjahr.