Florian Zinks Leidenschaft gehört den haarigen Achtbeinern. Auf Exkursionen führt der Experte nun Neugierige ins wunderbare Reich dieser Tiere

Fischbek . Als Florian seiner ersten tierischen Liebe begegnete, war er ungefähr sechs Jahre alt. Vom ersten Augenblick an mochte er ihre langen Beine. Ihre blitzartige Reaktionsgeschwindigkeit faszinierte ihn. Er bewunderte die feine Kunstfertigkeit, mit der sie ihre Wohnung errichtet hatte. Seine Freundin lebte in einem verstaubten Trichternetz unter seinem Schreibtisch im Meckelfelder Kinderzimmer.

Sie war eine äußerst stattliche Spinne. Der Junge fand, sie habe eine ganz besondere, eigenartige Schönheit. Er nannte sie „Erna“. Dabei hatte er keine Ahnung, ob das Tier ein Weibchen war. „Dass Männchen an verdickten Unterkiefertastern erkennbar sind, wusste ich damals noch nicht“, sagt Florian Zink rückblickend. Er fütterte sie täglich mit Fliegen. Lebendigen natürlich. Ohne das Zappeln im Netz wäre „Erna“ ja nicht aufmerksam geworden. Sie konnte nicht besonders gut sehen, das fand Florian schnell heraus. Auf die Idee, seinem Schützling einen Tropfen Wasser anzubieten, kam das Kind indes nicht. „Dass Spinnen zwar lange fasten können, aber regelmäßig trinken müssen, las ich erst später in Fachliteratur, die ich mir in der Bücherei auslieh.“ Und auch Ernas wissenschaftlichen Namen fand er erst nach Jahren in einem Bestimmungsbuch. „Wenn meine Erinnerungen stimmen, muss es Tegenaria atrica, eine Große Winkelspinne, gewesen sein.“

Die Begegnung mit „Erna“ liegt bald drei Dutzend Jahre zurück. Doch Florian Zinks damals entfachte Passion für Achtbeiner ist ungebrochen. Obwohl der gelernte Kaufmann beruflich nichts mit Tieren zu tun hat, ist sein autodidaktisch erworbenes Spezialwissen selbst unter Biologen ungewöhnlich groß. Als Mitglied des Nabu-Süd bietet er ein- bis zweimal jährlich Spinnen- Führungen am Rand der Fischbeker Heide an. Obwohl sie zwei bis drei Stunden dauern, muss man nicht weit laufen.

„Hier gibt es auf engem Raum unterschiedliche Biotope: Wiese, Wald und Heide“, erzählt Florian. Mit Konstantin Iljuschin hat er sich am Parkplatz der Segelfliegerschule für eine Vorexkursion getroffen. „Florian hat mich vor einigen Jahren während einer Führung mit dem Spinnenvirus infiziert“, sagt der 18-Jährige und lacht. „Die Faszination dieser interessanten Tiere hat mich nie wieder losgelassen.“ Das eigene Fachgebiet des angehenden Staudengärtners sind Reptilien und Amphibien. Bei den gemeinsamen Spinnen-Exkursionen lernen Konstantin und Florian viel voneinander und die Teilnehmer profitieren vom breit gefächerten Wissen beider Naturliebhaber.

Heute wollen sie gemeinsam sondieren, was im Gras, unter Blättern, an Baumstämmen, in der Laubstreu und im Heidekraut auf Beute lauert. Einige Spinnenarten sind ortstreu. Sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch am nächsten Wochenende dort anzutreffen sein. Ansonsten müssen sich Florian und Konstantin spontan auf ihren „Spinnenblick“ verlassen. So nennen sie die Gabe, die meist gut getarnten Räuber zu entdecken, die teilweise kaum einen Millimeter groß sind.

Es gibt im Norden keine Spinnen, deren Gift dem Menschen schaden könnte

Wer mit Florian unterwegs ist, sollte eine Lupe in der Tasche haben. Er selbst hat außerdem Glasröhrchen mit Deckel und einen selbst gebastelten Exhaustor dabei. Das sind zwei unterschiedlich dicke, ineinander gesteckte Schläuche, getrennt durch feine Gaze. Das Gerät dient zum Ansaugen von Kleintieren. „Spinnen sollte man niemals anfassen, das wäre gefährlich. Wohlgemerkt: Nicht für uns, sondern für die Tiere mit ihrem weichen, sehr verletzlichen Leib“, erklärt Florian. Es gibt in Norddeutschland keine Spinnen, deren Gift dem Menschen etwas anhaben könnte.

Unaufmerksame Zweibeiner dagegen können den Gliedertieren schnell zum Verhängnis werden. Deshalb bewegt sich Florian sehr vorsichtig. Nur selten betritt er das hohe Gras am Wegesrand. „Besonders muss man auf muldenartige Vertiefungen achten. Wo die langen Halme nach unten gebogen sind, hat oft Argiope bruennichi ihr Netz.“ Die Wespenspinne verdankt ihren Namen ihrer auffälligen Färbung. Sie ist gelb mit schwarzen und weißen Streifen. Auf wenigen Quadratmetern finden Florian und Konstantin ein halbes Dutzend. Einige haben einen besonders dicken Faden zickzackförmig in ihr Radnetz gesponnen. „Stabiliment“ wird er genannt. Dabei dient er gar nicht der Stabilisierung. „Möglicherweise hat er Tarnfunktion, weil er optisch vom Körper der Spinne ablenkt“, sagt Florian. Es gibt vieles, was auch Spinnenexperten wie er nicht wissen.

Sicher ist nur: Es gibt im Reich der Arachnida nichts, was es nicht gibt. Und zu jeder Regel eine Ausnahme. Die Vielfalt ist gigantisch. 44.900 Spinnen-Arten wurden zuletzt weltweit gezählt, und noch immer werden mehr entdeckt. „Im freien Feld ist es schwierig, eine Spinne bis zur Art zu bestimmen. Viele sehen sich sehr ähnlich und haben keine eigenen Merkmale, so dass eine Artbestimmung nur mit dem Mikroskop möglich ist. Es gibt nur wenige Spinnenarten, die unverwechselbar sind“, weiß Florian, der stets ein Bestimmungsbuch mit sich führt und bei nahezu jedem Ausflug ihm bis dahin unbekannte Spezies entdeckt.

Einige Spinnen sind fürsorglich, andere überlassen ihre Brut dem Schicksal

Zu den heimischen leicht erkennbaren Arten gehört Pisaura mirabilis. Die Listspinne, auch Brautgeschenkspinne genannt, weil das Männchen seiner Auserwählten ein Beutestück überreicht, gehört zur Familie der Raubspinnen. Auffälliges Merkmal ist ein gelblich-orange-farbiger Mittelstreifen auf dem Vorderkörper.

Das Exemplar, das Florian in einem Gläschen begutachtet, trägt einen kugelrunden Kokon mit Eiern mit sich, um den Nachwuchs zu schützen. Manche Spinnenarten sind durchaus fürsorglich, andere überlassen ihre Brut einfach dem Schicksal.

Konstantins Liebe zu dieser Klasse der Gliederfüßer reicht inzwischen so weit, dass er eine Mexikanische Rotknie- Vogelspinne als Haustier hält. „Noch ist sie ein kleiner Junge, etwa sechs Zentimeter Durchmesser. Sie wird aber mal so groß wie meine Hand werden. Sehr friedlich und anspruchslos, wunderbar geeignet für Anfänger“, schwärmt er. Seine Mutter ist nicht so begeistert vom neuen Mitbewohner. „Sie akzeptiert ihn aber, sofern das Terrarium in meinem Zimmer bleibt“, erzählt der Neuwiedenthaler. „Erna“ war dieses Verständnis leider nicht beschieden. „Ich habe sie lange verteidigt. Aber irgendwann musste sie doch ausziehen. Sie war eines Tages einfach weg“, sagt der 43-Jährige, heute selbst Vater eines Sohnes. Was genau geschah, hat er nie erfahren. Inzwischen jedenfalls fängt auch seine Mutter Hausspinnen in einem Glas ein und setzt sie im Garten aus, anstatt sie totzuschlagen oder wegzusaugen. Denn wer Spinnen einmal mit Florians Augen gesehen hat, gewinnt die eifrigen Insektenvertilger richtig gern.

„Auf den Spuren der Spinnen in der Fischbeker Heide“, Sonntag, 17. August, 16 Uhr, Treff: Parkplatz der Segelfliegerschule/Scharlbargstieg, 15 Min. Fußweg von der Bushaltestelle „Fischbeker Heuweg“ (Linie 240, 251). Bei Dauerregen fällt die Führung aus. Kostenlos, Spenden für den Nabu erbeten.