Die St. Petrusgemeinde in Heimfeld hat vor kurzem das erste Wallfahrerquartier im Hamburger Süden eingerichtet.

Die ersten vier Gäste waren begeistert von der schlichten Unterkunft. Immerhin mit einer Küche und Stromanschluss. Das gibt es nicht so häufig in Pilgerherbergen. Demnächst wird sogar eine Dusche eingebaut. Ein Luxus, den Pilger nicht erwarten.

Pilgern fasziniert immer mehr Menschen. Ich rufe im Pilgerzentrum der evangelischen Nordkirche in St. Jacobi in Hamburg an, um mehr über das Pilgern zu erfahren. Eine freundliche Mitarbeiterin meldet sich: „Der Pilgerpastor gibt gerade einigen Pilgern den Pilgersegen. Er wird gleich zurückrufen.“ Was prompt geschieht: „Hier ist Bernd Lohse“. Ich kenne den engagierten Kollegen lange. Er organisiert und vernetzt als Pilgerpastor das Pilgern in Norddeutschland. Das Zentrum an St. Jacobi hat er nicht erfunden. Die Hauptkirche im Zentrum Hamburgs ist vor 750 Jahren auf Bitten der Beginenschwestern gebaut worden. Man wollte den Pilgern, die vor der Stadt lagerten, geistliche Betreuung gewähren. Im Mittelalter gab es einen Pilgerboom. Hamburg war ein Knotenpunkt auf der Via Baltica, dem baltisch-westfälischen Jacobsweg und anderen Wegen, die bis nach Santiago de Compostela in Spanien weiterführen. In Deutschland gibt es 30 Jacobswege auf alten Routen. Genannt nach dem Apostel Jacobus, der in Santiago begraben sein soll.

Voller Stolz erzählt Lohse von dem Jacobsweg, den er 2012 eingerichtet hat. Der folgt den Spuren von Bischof Ansgar, dem Gründer von Hamburg. Der Weg führt von St. Jacobi durch die Süderelbe und die Lüneburger Heide bis zur Mauritiuskirche in Hittfeld. Und weiter bis zum Kloster Mariensee am Steinhuder Meer. „Das Zeichen der Pilger, die blaue Muschel, gibt eine gute Orientierung“, erklärt Lohse. „Kirchengemeinden und andere Institutionen bieten Rastorte und z.T. Pilgerherbergen. Sie sind auf einer Karte angegeben. Ein anderer Jacobsweg führt von St. Jacobi über Horsefeld, Bremen, Oldenburg nach Osnabrück. Die 302 Kilometer kann man in 80 Stunden zurücklegen. Aber ohne Leistungsdruck. Der widerspricht dem Sinn des Pilgerns. Es geht um spirituelles Wandern. Menschen brechen aus ihrem Alltag mit seinen Gewohnheiten und dem Stress aus. Sie suchen Entschleunigung, wollen Körper, Geist und Seele Gutes tun. Nicht bei allen geht es ums Wandern mit Gott. Für viele der inzwischen weltweit 190 Millionen Pilger geht es um eine Reise zu sich selbst. Auf dem Weg sein, über den bisherigen Lebensweg und die Zukunft nachzudenken, das ist allen wichtig.“

Bernd Lohse redet über seine Erfahrungen: „Ich erlebe bei vielen das Bedürfnis, etwas Authentisches zu erfahren. Deswegen wandern sie ohne viel Gepäck. Die Last auf Schultern und Rücken soll leicht sein. So kann man spüren, dass auch die Lasten des Lebens leichter werden können. Wer seine Ansprüche an das Leben und den Glauben reduziert, findet wieder Kontakt zu sich selbst. Manchmal auch zum Himmel.“

Ich kann das bestätigen. Eine gut 50-jährige Frau, Angestellte in einer Behörde, hat das Pilgern probiert. Zunächst in Gruppen, dann allein. Anfangs ist sie nur kurze Wege gegangen, dann immer längere. Am liebsten wandert sie allein. Nicht auf den vorgezeichneten Wegen, sondern auf Nebenwegen und durch Wälder. Ohne Angst. Die hat sie überwunden. Ist gelassener und freier geworden. Und hat die Prioritäten ihres Lebens neu bestimmt. Sie kann jetzt das, was für sie wichtig ist, von Nebensächlichem unterscheiden. Im Pilgerzentrum St. Jacobi haben der Pilgerpastor und das ehrenamtliche Pilgerteam ein interessantes Programm entwickelt: „Schweigend um die Alster gehen“. An jedem ersten Donnerstag im Monat wird eine Pilgervesper gefeiert. Danach bleibt man zusammen zum einfachen Abendessen und Gespräch. Den Pilgersegen versteht Lohse als besondere Stärkung. Er spendet ihn vor der Wanderung, mitten auf dem Weg oder nach der Rückkehr. Alle Pilgernden brauchen einen Pilgerausweis mit Stempel, das Credencial für den Pilgerweg. Besondere Ausweise gibt es für die norddeutschen Wege und den norwegischen Olavsweg. Die Ausweise werden bewusst nur persönlich ausgegeben. Sie berechtigen für Übernachtungen in den Pilgerherbergen. In diesem Jahr sind über 500 Ausweise ausgestellt worden.

Dass nicht nur katholische Christen nach Lourdes und Fatima wallfahren, dass Muslime sich zu Millionen auf die Wallfahrt zu den Heiligen Stätten von Mekka begeben, sondern heute auch Protestanten pilgern, ist selbstverständlich. Vorbei die Zeiten, als Luther das Pilgern als „Narrenwerk“ abtat. Zu seiner Zeit wurde es als Buße für Sündenstrafen auferlegt, um so Ablass zu erhalten. Die Hoffnung der Pilger heute beschreibt der Journalist Franz Alt so: „Man pilgert nicht, um Neues zu entdecken, sondern um neu zu werden.“

Helge Adolphsen ist emeritierter Hauptpastor des Hamburger Michel. Er lebt in Hausbruch