60 Jahre nach der Einschulung treffen sich Klassenkameraden der Schule am Radeland wieder

Neu Wulmstorf. Die Umstände für den Unterricht konnten vor 60 Jahren schwieriger nicht sein. Lehrer Hermann Ebeling aus Neu Wulmstorf hatte 40 Schüler vor sich sitzen, davon zahlreiche Kriegsflüchtlinge aus dem Osten, und musste ihnen auf engstem Raum Rechnen und Lesen beibringen. „Aber irgendwie wird man letztendlich damit fertig“, sagt der Lehrer, der heute 84 Jahre alt ist.

Ebeling und mehr als 20 ehemalige Schüler feierten am vergangenen Wochenende ein Klassentreffen. Anlass war die Einschulung vor 60 Jahren in die Schule am Radeland in Bostelbek. Auf Lehrer Ebeling hatten sich die 24 ehemaligen Schüler im Kartoffelhaus „papas“ im Ratskeller in Neu Wulmstorf am meisten gefreut, bevor sie sich schließlich trafen.

Er war es, der sie in das System Schule einwies. Er war ihr erster Lehrer und prägte die heranwachsenden Kinder – ob er nun wollte oder nicht. Doch auch für den pensionierten Lehrer spielten die Abc-Schützen von 1954 eine besondere Rolle. Die Kinder waren die einzigen in seiner Karriere, die er bis zur dritten Klasse betreute. So viele Jahre am Stück hatte er nie wieder eine eigene Schulklasse.

Der ehemalige Pädagoge hat nur gute Erinnerungen an die Zeit. Ebeling hat sogar alte Aufsätze aufbewahrt, in denen er in den vergangenen Jahren immer wieder gelesen hat. Zu Peter Rezek, der extra aus Berlin angereist war, sagte er in seiner Ansprache: „Deine langen Aufsätze kenne ich noch. Vier Seiten hast du vollgeschrieben. Da hatte ich viel zu tun, aber es hat Spaß gemacht.“

Wie aber hat der Mann es geschafft, 40 Schüler zu unterrichten? Eine solche Klassengröße würde heute jeden Lehrer verschrecken. Für Ebeling war das tägliche Arbeit. Er registrierte, welche Schüler nicht ganz mitkamen im Unterricht und setzte bei ihnen am nächsten Tag mit einem differenzierten Unterricht an. „Für die mussten dann besondere Aufgaben her“, sagt er. Die erarbeitete er am Nachmittag. „Es vergessen viele, dass Lehrer die Hälfte ihrer Arbeitszeit zu Hause für die Unterrichtsvorbereitung aufwenden“, so Ebeling. Wenn der individualisierte Unterricht auch nicht fruchtete, drosselte er manchmal die Geschwindigkeit oder baute unterhaltsame Elemente ein, damit die Schwächeren im Unterricht mitziehen konnten.

An der Vorgehensweise findet Ebeling nichts Besonderes. Insgesamt herrschte damals eine Kultur vor, die ihm das Lehren erleichterte. „Die Eltern waren keine hoch gebildeten Leute“, erzählt Ebeling. „Aber es waren Menschen, denen es nicht so gut ging und die eine bessere Zukunft für ihre Kinder wollten.“

Ebeling galt als strenger Lehrer. „Aber streng waren damals ja alle“, sagt Rosemarie Henschke. „Wir haben ihn geliebt. Ihm haben wir es zu verdanken, dass wir so schöne Erinnerungen an die Schule haben.“ Die Frau aus Braunschweig hat das Klassentreffen organisiert. Nachdem sie zu einem Treffen ihrer alten Realschule eingeladen worden war, hatte sie der Ehrgeiz gepackt und sie machte sich daran, nach ihren Klassenkameraden aus der Grundschule zu suchen. Eine schwere Aufgabe.

Es dauerte, bis sie die ersten fünf Adressen zusammen hatte. Dann wandte sie sich an das Einwohnermeldeamt, setzte einen Aufruf in die Zeitung und schließlich lief es ganz von selbst. Die Resonanz auf die Einladung zum Klassentreffen war groß: von den 40 Klassenkameraden wurden 30 eingeladen, da zehn inzwischen verstorben waren. Am Ende erschienen 24 im „papas“. „Dass so viele auf die Einladung reagiert haben, hat mich sehr glücklich gemacht“, sagt die ehemalige Buchhalterin. Kurz nachdem sie das Treffen angeschoben hatte, wurde sie mit reichlich Post, etwa aus dem Urlaub, für die Mühe belohnt. „Ich bin richtig aufgelebt.“

Im „papas“ war dann Zeit für Nostalgie. Viele brachten ihre alten Foto- und Poesiealben mit, und Rosemarie Henschke hatte sogar ein Exemplar der Fibel „Bunte Welt“ mitgebracht. Mit der lernten sie und ihre Schulkameraden damals Lesen. Die Fibel hatte sie in einer Schulbuchausstellung wiederentdeckt und die hatte Kindheitserinnerungen geweckt. Ihr Mann Gunnar Henschke trieb die Fibel dann im Internet auf. Rosemarie und Gunnar Henschke sind eines der wenigen Pärchen aus der Klasse. Zunächst gingen sie getrennte Wege. Sie besuchte die Realschule, er das Gymnasium. Mit 17 Jahren haben sie sich auf einer Silvesterparty wieder getroffen. „Ich halte das für eine Fügung des Schicksals“, sagt Rosemarie Henschke.

Nur vereinzelt hielten die Klassenkameraden ansonsten Kontakt, obwohl es viele gar nicht so weit verschlagen hat. Und so standen sich manche im „papas“ ratlos gegenüber und mussten einander vorstellen. „Einige haben sich ganz schön verändert“, sagt Margret Rasmussen aus Neugraben. „Aber gerade das macht das Klassentreffen so spannend.“