Vor dem Atelierhaus 23, dem ehemaligem Merkel-Fabrikgebäude, soll in Privatinitiative eine Gedenktafel installiert werden

Wilhelmsburg. Zuerst war die Enttäuschung groß. Dafür freut sich der 78-jährige Rudolf Schmidt aus Meckelfeld inzwischen umso mehr, dass ihm in Privatinitiative gelungen ist, was ihm mit Behörden zuvor nicht gelungen war: Es wird nun von Künstlern eine Gedenktafel geschaffen, die vor dem heutigen „Atelierhaus 23“, einem früheren Fabrikgebäude der Asbest- und Gummiwerke Martin Merkel an der Sanitasstraße 17-21, demnächst aufgestellt und an Zwangsarbeit zur Zeit des Zweiten Weltkriegs sowie an die zum Teil gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen in der Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswachstums erinnern soll. Für Donnerstag, 11. September, 19.30 Uhr, ist eine Einweihungsfeier geplant, bei der auch der Film „Wir hätten ins KZ kommen können“, gezeigt werden soll.

„Wir wollen nicht nur nach vorne schauen“, sagt Rudolf Schmidt, der von 1966 bis 1999 als Haustechniker bei Merkel beschäftigt und viele Jahre auch als Betriebsrat tätig war. „Ich halte es für wichtig, unsere jüngste Vergangenheit aufzuarbeiten und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.“ Anlass für den Rückblick war für ihn unter anderem das Hamburger Besuchsprogramm des Senats von 2001 bis 2013, das ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter noch einmal an die Stätten ihrer Zwangsarbeit zurückkehren und ihre Erinnerungen auffrischen ließ. So war 2002 auch die damals 80-jährige Maria Brodskaja aus dem Bezirk Tscharkow in der Ukraine zu Merkel nach Wilhelmsburg gekommen, wo sie 1942 als 20-Jährige Zwangsarbeit verrichten musste. Bei Merkel waren insgesamt 48 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zumeist aus Russland beschäftigt.

Rudolf Schmidt, der einen guten Kontakt zur Familie Merkel pflegte, erinnert sich, dass der damalige Chef Martin Merkel in seinem Taschenbuch alle Namen und Geburtstage der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter notiert hatte. Maria Brodskaja hatte bei dem Besuch auch die frühere Merkel-Mitarbeiterin und Freundin Lydia Mizdziol wieder getroffen. Es war eine herzliche Begegnung. Jürgen Kinter hatte das Wiedersehen gefilmt. Der Film wird am 11. September gezeigt. Beide Frauen leben allerdings inzwischen nicht mehr.

Bis auf das heutige Atelierhaus 23 sind alle anderen ehemaligen Fabrik- und Verwaltungsgebäude der Firma Merkel an der Sanitasstraße abgerissen worden. Das alte Fabrikgebäude wurde für das Projekt „Künstler-Community“ der Internationalen Bauausstellung (IBA) modernisiert. 42 Ateliers befinden sich darin. Alle sind von der Sprinkenhof AG vermietet worden. Rudolf Schmidt wünschte, dass eine Gedenktafel an dem letzten erhaltenen Merkel-Altbau angebracht wird. Noch vor einem Jahr erreichten ihn mehrere Absagen. Die Hamburger Kulturbehörde und auch Heiner Schulz vom Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme konnten nicht weiterhelfen. Die Kulturbehörde hatte die Gedenktafel abgelehnt, weil wegen vieler Zwangsarbeiter an jeder Straße Hamburgs Tafeln aufgestellt werden könnten. Heiner Schulz gab ihm den Tipp, die künftigen Künstler anzusprechen.

Das klappte. Seine Unterstützer sind nun Margret Markert von der GeschichtsWerkstatt und die Künstlerinnen Christine Waldbüßer (Collagen) und Carla Binter (Keramiken). Aus Bundesmitteln für soziokulturelle Projekte, Sondermitteln des Bezirks Mitte und Einzelspenden kamen etwa 8000 Euro zusammen. Die BI-Werkstätten bauen ein Gestell für die künstlerisch gestaltete Gedenktafel. Die Keramik-Collagen zeigen Fotos und Texte. Erinnert wird unter anderem auch an den früheren Betriebsratsvorsitzenden Harry Hellmuth,76, der 2004 arbeitsbedingt an Asbestose gestorben war.