Das Kultlokal in der S-Bahn-Unterführung Harburg-Rathaus soll nach 30 Jahren neuen Bahnläden weichen

W er von der Lüneburger Straße kommend in die Katakomben der S-Bahn-Zugänge des Bahnhofs Harburg-Rathaus hinabsteigt, steht plötzlich unvermittelt vor einer urigen Fachwerkhütte. Hier unten wirkt sie seltsam deplatziert. Als hätte der Bauherr sie versehentlich am falschen Ort errichtet. Und ist gerade deshalb ein Blickfang. Geht es nach der Deutschen Bahn, nicht mehr lange. Sie will dem architektonischen Kleinod, das Harburgs Kultkneipe „Bei Wolff’s“ beherbergt, den Garaus machen. Ende Oktober soll die Hütte im Zuge umfangreicher Umbauarbeiten verschwinden. Für immer.

„Im Rahmen einer Neukonzeption der Station Harburg-Rathaus wird die Schalterhalle Ost modernisiert“, so ein Sprecher der Deutschen Bahn. In diesem Zusammenhang sollen der Kiosk und der Imbiss erweitert werden und die Flächen einen neuen Zuschnitt erhalten. „Der Kiosk wird zu einem vergrößerten, begehbaren Convenience-Store umgebaut, in dem für die Fahrgäste zukünftig das vielseitige Angebot unserer Eigenmarke ServiceStore DB erhältlich ist“, erklärte der Bahn-Sprecher auf Nachfrage. Im nächsten Schritt würde auch der bereits Ende 2013 geschlossene Imbiss in vergrößerter Form und mit einer modernen, ansprechenden Front aus Glas und Stahl neu entstehen. „Um so zwei moderne und den aktuellen Anforderungen entsprechende Mietflächen zu schaffen“, wie der Bahn-Sprecher noch hinzufügte.

Im Zuge der Umbauarbeiten, die bis Frühjahr kommenden Jahres andauern werden, und in deren Verlauf nach Abendblatt-Informationen auch die Feuerschutzanlagen erneuert werden, muss das Lokal „Bei Wolff’s“ unwiderruflich weichen. Zum einen, weil sonst die vorgeschriebene Breite der Fluchtwege nicht mehr gegeben sei. Zum anderen, weil die Kneipe durch das neue Konzept im „ServiceStore DB“ ersetzt werde. „Die Schließung des Restaurants ist somit endgültig“, ließ der Bahn-Sprecher keinen Zweifel am Aus fürs „Wolff’s“.

Seit die Pläne der Bahn in dem Lokal die Runde gemacht haben, ist die Stammkundschaft in Aufruhr. „Ist doch kein Wunder, wir sind hier wie eine große Familie, man begrüßt sich mit Handschlag“, sagt Werner Plewka. Seit 20 Jahren kommt der Maschinenführer in den Mauser-Werken, einem Hersteller für Kanister und andere Industrieverpackungen, in die Hütte. Ebenso wie viele andere der 40 Mitglieder des Wolffschen Sparklubs, darunter Dachdecker, Gerüstbauer, Müllfahrer, Hafenarbeiter. Die hier nicht nur ihr Feierabendbier genießen, sondern auch gemeinsam Geburtstage und Jubiläen feiern. „Diese besondere Intimität in nostalgischem Ambiente findet man in Harburg doch kaum noch“, so Plewka. Weshalb das Vorhaben der Bahn im Grunde einem Sakrileg gleichkomme.

„Hat sich irgendeiner der Bahnentscheider das hier mal richtig angeschaut?“, fragt Egon Uhlig, dessen Rottweiler-Mischling Rocky gerade mal wieder allein seine Kneipenrunde dreht, ohne dass das irgendeinen Gast stören würde. Rocky ist als „Wolff’s“-Maskottchen quasi heilige Kuh des kultigen Kneipentempels und in dieser Eigenschaft mit allen Sonderrechten ausgestattet. „Wie kann man so einen Bau einfach abreißen“, fügt Uhlig noch an und schüttelt immer wieder den Kopf.

„Ist doch klar, die Bahnbosse lieben sterile, stereotype Bahnhöfe, einfach furchtbar“, antwortet ihm Ute Mück, die ein Stück weiter auf einem der Barhocker direkt am Tresen sitzt und genüsslich an ihrer Zigarette zieht. Weil das Lokal mit 66 Quadratmetern klein genug ist, um nicht vom Rauchverbot in Gaststätten betroffen zu sein, darf hier noch fröhlich dem blauen Dunst gefrönt werden. Was im Übrigen ein weiterer Grund für die Beliebtheit der Untergrund-Kneipe ist.

Ingo Wolff, 68, der die Kneipe vor 30 Jahren gründete, ist ratlos. „Als Pächter haben wir nie Probleme gehabt, weder mit der Deutschen Bahn, noch mit der Polizei. Diese Kneipe gehört doch längst zu Harburg wie der Binnenhafen oder das Rathaus“, sagt er. Entgegen der Aussagen von Bahnvertretern gäbe es sehr wohl Alternativen, nur müsse man das eben auch wollen. „Würden die neuen Läden nur um einen halben Meter weniger in den Tunneldurchgang erweitert, könnte man das Lokal erhalten“, so Wolff. Schließlich würden am Fortbestand auch die Jobs seiner sieben Mitarbeiter hängen, die teilweise schon seit vielen Jahren in der Kultkneipe arbeiten.

Als die S3 Anfang der 1980er-Jahre verlängert wurde und so der Bahnhof Harburg-Rathaus entstand, hatte sich der ehemalige Banker, der zuvor 20 Jahre unter anderem als stellvertretender Haspa-Zweigstellenleiter in Hammerbrook beschäftigt war, erfolgreich als Pächter beworben. 246.000 Mark habe er seinerzeit investiert, um das Lokal in massiver Bauweise errichten zu lassen. Mit stattlichen 13 x 13 Zentimeter dicken Balken und fein gemauerten Gefachen aus Röben-Klinkern. Der Abriss soll nun mit 40.000 Euro zu Buche schlagen. „Pure Geldverschwendung“, findet Wolff.