Der Nahe Osten scheint zu explodieren. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas hat Hunderte von Menschen das Leben gekostet.

Die Mehrheit in Israel und dem palästinensischen Gebiet scheint in düsterer Verfassung zu sein. Wer noch an Frieden glaubt, ist naiv oder ein Träumer.

Aber „Verzweiflung ist unser Untergang“. So beschreibt der israelische Schriftsteller David Grossman die Gemütslage seines Volkes in einem Weckruf an die Politik. Nichts mehr sei vorhanden vom „israelischen Geist der Wiedergeburt, dem Geist des Trotzdem und des Muts. Der Hoffnung.“

1993 machte der Friedensprozess von Oslo allen Menschen in der Welt Mut. Der Freund und Nachbar in Hausbruch, Hermann Rauhe, damals noch Präsident der Hochschule für Musik und Theater, entschloss sich, ein Friedensmusical zu komponieren. Ich wies ihn hin auf die uralte Geschichte von Abraham, dem Stammvater der Juden, Christen und Muslime. Als Textgrundlage und roten Faden. Hermann war begeistert. So kennen ihn viele. Abraham faszinierte ihn. Mit seinem Mut zur Zukunft. Mit seinem bedingungslosen Gottvertrauen. Ihm wird der Segen zahlreicher Nachkommenschaft verheißen, so zahlreich wie die Sterne am Firmament. Abraham verließ seine Heimat, um der Welt den Frieden zu bringen. Aber die Nachkommen Abrahams- die Juden berufen sich auf Abrahams Sohn Isaak, die Muslime auf dessen Bruder Ismael- stehen sich heute in unversöhnlichem Streit gegenüber. Neid, Hass und Krieg widersprechen dem Segen des Friedens, den Gott allen Menschen verheißen hat.

Uns fiel als überzeugender Titel für die Mischung aus Musical und Oratorium ein: „Gesang der Sterne“. Wir aktualisierten die Abrahamgeschichte. Ich schrieb die Texte, Hermann komponierte. Silvester zur Jahrtausendwende fand die erste von mehreren Aufführungen statt. Mit Solisten, Chor und Orchester.

Jetzt, 14 Jahre später, sprach ich angesichts der Ereignisse im Nahen Osten mit dem Komponisten über seine Motive. „Ich wollte immer meine Friedensphilosophie vermitteln. Durch Musik. Denn Musik ist emotional. Sie erreicht den Menschen mit allen seinen Sinnen. Der Verstand schafft das nicht. Als Beispiel für Versöhnung habe ich den Eingangssatz auf den Text ‚Gib uns Frieden, shalom, salam‘ mit arabischer, jiddischer und mit 11-Ton-Musik komponiert. Letztere mit dem Aufschrei: „Welch ein Wahnsinn, dieser Krieg“ mit harten Dissonanzen.“ Ich frage ihn, ob er der Musik so viel zutraue. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Musik Macht hat. Eine Macht, die viel tiefer wirkt als alle Ideologien.“ Ich erinnere ihn an die Schlüsselmelodie seines Werks. „Das ist der Satz auf den Text >Der Friede fängt in dir selber an / und pflanzt sich weiter fort. / Du wendest dich dem andern zu / und sprichst das erste Wort. / Du schaust ihm in die Augen, / erkennst im Feind den Bruder, / wo Abgründe klaffen und Grenzen uns trennen.“ „Ist das nicht Schwärmerei? Das fragen sich jetzt doch viele in Israel und in den besetzten Gebieten“, gebe ich zu bedenken. Mein Freund antwortet mit Worten aus dem Vermächtnis des von ihm hochgeschätzten Juden Yehudi Menuhin. „Das Singen“ – und ich ergänze die Musik – „macht wie nichts anderes die Verständigung der Herzen über alle kulturellen Grenzen hinweg möglich… Sie kann die Friedfertigkeit der Menschen und Kulturen untereinander befördern.“ Ich füge hinzu, was der große Gelehrte Carl Friedrich von Weizsäcker als sein Bekenntnis zum Frieden so formuliert hat: „Der Weltfriede fängt in den Herzen der Menschen an.“ Hermann: „Die Menschen wollen Frieden. Sie wissen, dass der Friede nicht nur göttliches Geschenk ist, sondern durch persönliches Tun erreicht werden muss. Jeder ist herausgefordert. So musste Abraham seine Heimat verlassen und in die Fremde gehen. Ohne Absicherung und Garantien. Wir können die Verantwortung für den Frieden weder auf die Politik noch auf Gott abschieben.“

Mit glänzenden Augen erzählt er von der Musikfriedensinitiative, die der israelische Dirigent Barenboim gegründet hat. Sein Orchester heißt: „West-östlicher Divan“. An jedem Pult sitzen jeweils ein Palästinenser und eine Israelin. Musik verbindet über alle Grenzen hinweg.“ Hermann holt noch weiter aus: „Vor 33 Jahren kamen die Ausländerbeauftragten der Bundesländer auf mich zu. Sie wollten eine Initiative gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit starten. Wir haben einen Wettbewerb an allen deutschen Musikhochschulen ausgeschrieben. Titel: „Xenos (der Fremde) – Fremde brauchen Freunde“. Es wurde ein großer Erfolg. Viele Studierende machten mit. Die Preisverleihung nahm die damalige Bundesfamilienministerin vor: Angela Merkel!“

All denen in Israel und im Gazastreifen und in der Westbank, die verzweifeln und nicht mehr an die Möglichkeit des Friedens glauben, aber auch denen, die in Deutschland und Frankreich gegen die Juden hetzen, möchte ich den Schlüsselsatz aus dem Musical zurufen: „Der Friede fängt in dir selber an.“ An Versöhnung zu glauben, selbst friedfertig zu sein und aktiv Frieden zu schaffen – das ist der Preis, den jeder für den Frieden zahlen muss.

Helge Adolphsen ist emeritierter Hauptpastor des Hamburger Michels. Er lebt in Hausbruch. Seine Kolumne erscheint regelmäßig in der Harburg & Umland-Beilage des Abendblattes