Auch die Farben von Markisen regelt das Rathaus. Werbung darf nicht wichtiger als die historischen Häuser sein

Lüneburg. Lüneburg ist von oben rot. Wer 56 Meter über den Straßen auf dem Wasserturm steht, sieht zwar grüne Bäume wachsen und eine Handvoll Bausünden aus den Siebziger Jahren. Ansonsten nur rote Dächer. Nicht einmal Solarzellen sorgen für dunkle Flecken. Der Anblick ist kein Zufall. Die Stadt regelt in 15 Paragrafen, was in Fußgängerzone und Altstadt erlaubt ist und was nicht – von der Markise bis zur Dachpfanne.

Wärmestrahler werden nur im Ausnahmefall erlaubt, Markisen müssen einfarbig sein und ohne Motive, Muster oder Werbung, Leuchten dürfen nur warm-weißes Licht machen, und selbst für die Tafel der Tagesangebote von Restaurants gibt es eine Vorschrift: Nur eine pro Gaststätte ist zulässig, und die darf maximal 40 mal 80 Zentimeter groß sein.

Für die Dächer dürfen Bauherren ausschließlich „gebrannte Tonziegel in Form von Hohlpfannen in Naturrot“ verwenden, allerdings auf keinen Fall glasiert oder glänzend. So will es Paragraf 4 Absatz 2. Und die Farbe für die Fassade muss einem historischen Befund entsprechen – was vor einigen Jahren dazu führte, dass ein Bäckermeister den Maler noch einmal kommen lassen musste, weil sein Farbton einen Tick zu gelb war. Jetzt ist er hellgelb.

Was auf den ersten Blick übertrieben bürokratisch aussieht, ist für Lüneburg essentiell. Für den Denkmalschutz einerseits, für die Attraktivität andererseits. Schließlich will man hier weiterhin sieben Millionen Tagesgäste im Jahr zählen. Und das geht nur, wenn man sich von anderen unterscheidet.

So argumentiert Stadtbaurätin Heike Gundermann: „Auch eine moderne, offene Stadt muss ihre Geschichte bewahren und schützen. Die 1300 Baudenkmale sind die Geschichte von Lüneburg und heben unsere Stadt aus vielen anderen Städten hervor.“ Als eine von wenigen Stadtkernen überhaupt sei Lüneburg von Zerstörungen durch Kriege und wirtschaftliche Entwicklung weitgehend verschont geblieben. Ohne konkrete Regelungen würde ein „Wettbewerb des Hochrüstens“ entstehen, fürchtet sie. „Die Werbeanlagen würden zunehmend dominieren. Damit ginge für viele Besucher der Anreiz, nach Lüneburg zu kommen, verloren.“

Besonders anschaulich ist für sie der Blick von oben auf Lüneburgs Fußgängerzone und die westliche Altstadt. „Wäre die Dachlandschaft nicht dem Schutz der Gestaltungssatzung unterstellt, würde das plastische Rot nicht mehr geschlossen wahrnehmbar sein.“ Und selbst die Lüneburger Grünen haben sich nach fraktionsinterner Debatte über das Verbot von Solaranlagen zu Gunsten des Stadtbilds abgefunden.

Die neue Satzung gilt seit einem halben Jahr – und laut der Stadtbaurätin hat es bisher keine Beschwerden gegeben. Selbst die Geschäftsleute sind froh über die Regeln. Ein Vertreter des City Managements hat bei der Vorstellung der Regelungen eine exakte und harte Umsetzung gefordert. „Damit nicht einige gleicher als andere sind.“

Doch es gibt auch Dinge, die die Satzung nicht regelt: Tische, Stühle und Blumenkübel zum Beispiel. Die Lücke wird aber nicht lange bestehzen bleiben: Die Frauen und Männer im Rathaus arbeiten gerade an einem Sondernutzungsrecht.