Trainer Klaus-Dieter Schmidt aus Harburg ist leidenschaftlicher Wassersportler, führte junge Kanuten zu Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften und ist selbst Weltmeister

Harburg. Es war an einem Tag im September. Im Operationssaal des Mariahilf-Krankenhauses in Harburg beugt sich der Stationsarzt der Chirurgie über seinen Patienten. Der Mann, dessen regelmäßiger Herzschlag als Piepton den Raum erfüllt, ist 76 Jahre alt. Chefarzt Mathias Seack hat es sich nicht nehmen lassen, seinem Kollegen bei dieser Operation zu assistieren. Mit einem tiefen Schnitt ist die rechte Schulter am Gelenk freigelegt. Die Anbindung des Bizeps ist fast völlig abgerissen. Auch die Sehne, fast alles um das Gelenk ist verschlissen. Schon fast ein Wunder, dass der Mann überhaupt noch den Arm bewegen konnte. „Was heißt, kaum noch den Arm bewegen“, sagt der Chefarzt, „der hat damit vor wenigen Wochen bei den World Master-Games in Turin im Kanu sechs Gold- und eine Silbermedaille gewonnen.“ Das ist doch nicht möglich? „Nicht möglich? Da kennst du aber unseren Alten nicht.“

Der Alte, das ist Klaus-Dieter Schmidt, die Trainerlegende vom Harburger Kanu-Club. Chefarzt Mathias Seack und sein Bruder Oliver waren seine erfolgreichsten Lehrlinge. Sie wurden zu bescheidenen Stars der auch international so erfolgreichen Schmidt-Kanuten. Mathias war 14 Mal, Oliver sogar 15 Mal deutscher Meister. Vizeweltmeister waren sie im Zweier-Kajak und galten als die großen Favoriten bei den Olympischen Spielen 1984 über 1000 Meter. Oben auf dem Lake Casitas bei Los Angeles lagen die Seacks nach 750 Metern scheinbar uneinholbar in Führung. Und wurden Fünfte. „Meine Jungs hätten gewinnen können, gewinnen müssen“, sagt Klaus-Dieter Schmidt. Und noch jetzt, 30 Jahre danach, klingt Enttäuschung und Wehmut in seiner Stimme.

Der Harburger Kanu-Trainer steht Rede und Antwort in der guten Stube seines Reihenhauses in Neugraben. Helga Schmidt hat Kaffee und Butterkuchen aufgetischt. Er hat links im Sofa Platz genommen, sie rechts. Zwischen den beiden ein dickes Kissen. Auf dem Tisch ausgebreitet Fotos von jungen Frauen und Männern, kraftvoll im Kanu oder lachend auf dem Siegerpodest. Und Zeitungsausschnitte, die von den Triumphen der Harburger Kanuten verkünden. Aber damals, im Glanz Olympias, hatten sie in Los Angeles den Trainer des kleinen Kanuvereins von der Pionierinsel bei Seite geschoben. Klaus-Dieter Schmidt durfte nicht zu seinen Jungs. Auf der Tribüne neben Ehefrau Helga musste er mit ansehen, wie die Zwillinge, verunsichert ohne ihren väterlichen Lehrmeister, ihre Kräfte falsch einteilten und ihnen auf den letzten Metern der Olympiasieg entglitt.

Klaus Dieter Schmidt, Maschinenschlosser von Beruf und Jahrzehnte Waage-Meister im Hafen, ist einer, der sich als Trainer alles selbst erarbeitet hat. Zielstrebig, dickköpfig und, wenn erforderlich, auch unerbittlich, ist er seinen Weg gegangen. Ein Einzelgänger in der nationalen und internationalen Trainergilde, auch im Erfolg nie der große Zampano. Aber ein Mann, der, unterstützt von seiner Frau, immer für seine Athleten da war, der sich für sie eingesetzt und aufgeopfert hat. Ein Leben für den Kanusport.

Dabei hatte das gar nicht leicht und strahlend begonnen. In der mageren Nachkriegszeit war der Junge an Knochen-TBC im rechten Fuß erkrankt. Als Zwölfjähriger lag er anderthalb Jahre in einem Krankenhaus bei Cuxhaven fast ständig im Bett. Die Eltern und Geschwister konnten ihn nur selten besuchen. Der Fuß blieb verkrüppelt. Was er von dieser schweren Zeit mit ins Leben genommen hat? „Dass ich Schmerzen viel besser ertragen kann“, sagt er. Das ist eine Antwort, die für diesen Mann so typisch ist. Da er mit dem Fuß nie Fußball spielen konnte wie Buffy, sein jüngerer Bruder, nahm ihn die Schwester mit zu den Kanuten. Das war 1954 beim Wassersportverein Vorwärts, und der 17-Jährige hatte seinen Platz gefunden.

Und seine Helga? Wie ein junger Mann die Frau seines Lebens findet, die erste Liebe, ein unendliches Thema. Klaus-Dieter Schmidt macht es etwas kürzer. „Ja“, sagt er und schaut kurz zu seiner Frau hinüber, „das war in der Slomanstraße auf der Veddel. Sie ist auf dem Fahrrad an mir vorbeigefahren.“ Schweigen. Der Blick zu seiner Helga. „Ja“, fährt sie fort, „er ist mir nachgelaufen und hat mein Rad am Gepäckträger festgehalten.“ Wieder Schweigen. „Ja“, sagen beide, „das wars.“

Das war 1958, und seitdem war seine Helga immer dabei, auf den Regatten, auf den Wanderfahrten, den Feiern im Verein. Als ihr Mann 1970 das Jugendtraining beim Harburger Kanu-Club übernahm, hat sie als gute Seele und auch als Köchin der Gruppe alle Regattastrecken in Deutschland und viele Trainingslager in Europa kennengelernt. „Eine schöne Zeit“, sagt sie, „immer mit junge Menschen, mit Singen und Gitarre spielen am Abend, mit aufregenden Siegen, aber auch mit Enttäuschungen. Wirklich viele schöne Jahre.“

Wie viele Kilometer sie im Wohnwagen durch Europa gekurvt sind, wieviele Urlaube hat ihr Mann, der unbezahlte Feierabend-Trainer, dafür geopfert. „Ich bin ehrgeizig“, sagt er, „ich wollte Erfolg, vom ersten Training an.“

Als Klaus-Dieter Schmidt 1978 mit seinen jungen Paddlern bei der deutschen Meisterschaft auftaucht, wird er weder gegrüßt noch beachtet. Am Ende aber klopfen sie ihm alle auf die Schulter. Die Seack-Zwillinge hatten, einzeln und gemeinsam, die ersten Titel erkämpft, mit Joachim Ewert und Christian Maßow auch den Vierer gewonnen. Der Harburger KC, seine jungen Sportler und sein Trainer wurden von da an in Deutschland ernst genommen.

Thorsten, der Sohn gehörte dazu, Jaqueline Sendker, mit Ernst Libuda, einem der erfolgreichsten Harburger Wildwasser-Kanuten verheiratet, Shera Rostowski, Mark Westphalen, der 2000 in Sydney, allerdings für Potsdam, bei Olympia startete. Als letzte Kanutin hat Klaus-Dieter Schmidt Esther Rahm vor drei Jahren auf den dritten Platz bei der Junioren-Weltmeisterschaft geführt. Ihretwegen überwarf er sich nach 40 Jahren mit dem Harburger Kanu-Club und ging zurück zu seinen alten Freunden von Vorwärts.

Für Vorwärts quälte er sich mit der kaputten Schulter zu sechs Goldmedaillen bei den Senioren-Weltmeisterschaften. Noch Monate nach der Operation konnte er sein Kanu nicht zu Wasser bringen. Helga, die Frau an seiner Seite, weiß, wie sehr er darunter leidet. „Der Kanusport“, sagt sie leise, „das ist doch sein Leben.“