Im Auftrag des Eisenbahnbauvereins bearbeitet ein Hamburger Graffitikünstler Wände am Schwarzenberg

Harburg. Heute zieht sich Sascha Siebdrat, alias Vaine, die Schirmmütze nur noch ins Gesicht, weil die Sonne blendet – und weil es cool aussieht. Die Zeiten, in denen der Graffiti-Künstler „ohne Auftrag“ arbeitete und deshalb nicht erkannt werden durfte, sind lange vorbei. Derzeit schüttelt er die Lackdosen in der Harburger Innenstadt, an der Ecke Schwarzenbergstraße/Zur Seehafenbrücke. Auftraggeber ist der Eisenbahnbauverein Harburg (EBV).

Am Sockel des Wohnblocks auf dem ehemaligen Brauereigelände entsteht die gesprühte Illusion eines Wasserfalls. Eine Seite des Werks, an der Straße zur Seehafenbrücke, ist schon lange fertig gestellt. Die Seite an der Schwarzenbergstraße ist jetzt dran und auch fast schon fertig. Heute will Vaine das Werk übergeben.„Dann sind die beiden Flächen endlich zu einem Ganzem vereint“, freut sich Joachim Bode, Vorstandsvorsitzender des EBV.

Die unteren Wände und die Beetabstützungen waren, bevor der Mann mit der Sprühdose kam, aus schlichtem grauen Beton. Grau sind sie jetzt nur noch da, wo die Grafik Felsen vorsieht – oder Mauerfugen. An einigen Stellen seines Graffito nimmt Vaine nämlich die Backsteinstruktur der Wohnhausfassade wieder auf – so geschickt, dass es auf den ersten Blick kaum auffällt, dass diese „Ziegelsteine“ nur aufgesprüht sind und gar keine echten Verblender, wie die Steine ab dem Erdgeschoss aufwärts.

An den Schattierungen arbeitet Vaine noch. Um die Illusion fließenden Wassers herzustellen, ist viel Feinarbeit notwendig. Immer wieder geht er einige Schritte zurück, um das Werk zu begutachten, dann tritt er wieder heran und es folgen ein paar Sprühstöße hier und ein paar Striche dort. Er muss sich langsam herantasten, denn Zuvielgesprühtes lässt sich nur mit Zeitaufwand wieder kaschieren – und der Abgabetermin naht.

Vaine arbeitet seit über zwanzig Jahren als Auftragskünstler. Zum Sprayen kam er als Jugendlicher in Steilshoop. „Wir waren gerade dahin gezogen, ich hatte schon immer eine künstlerische Ader und ich habe Jugendliche kennengelernt, die das machten“, sagt er. Ende der 80er Jahre wurde Vaine erwischt, wie er „ohne Auftrag“ einen S-Bahn-Waggon optisch veränderte. Schadensersatzforderung und Geldstrafe waren empfindlich. Vaine entschied sich, legal zu arbeiten – und von seiner Kunst zu leben. „Ich hatte mittlerweile auch einen Beruf gelernt, aber Raumausstatter zu sein, hatte ich mir kreativer vorgestellt, als es ist.“ Heute gehört Vaine zu der Handvoll Graffitikünstler, die tatsächlich vom Sprayen leben können. Er hat ein Atelier in den Vierlanden, in dem er Arbeiten, die später nur an eine Wand anmontiert werden, vorfertigen oder großflächige Entwürfe anfertigen kann.

Nur eine Handvoll Hamburger Sprayer können von der Kunst leben

Seine Arbeiten kann man in Behörden und Bordellen; in Privatgärten und Pressehäusern bewundern. In Gemeinschaftsarbeit mit anderen Sprayern hält Vaine zwei Guinness-Rekorde für Riesen-Graffiti. Er ist bekannt dafür, Perspektive und Schattierung zu beherrschen und so naturalistisch arbeiten zu können, „aber ich mache auch gerne Stücke in einem sehr grafischen Stil“, sagt er. Die Zeiten, in denen Graffitikünstler sich ihre Arbeitsmaterialien im Baumarkt besorgten, sind vorbei. „Es gibt spezielle Graffiti-Lacke, die decken sehr viel besser und trocknen sehr viel schneller, als die Autolacke aus dem Regal“, sagt Vaine. „Das ist sehr wichtig, weil viele von uns ja immer noch unter großem Zeitdruck arbeiten. Da helfen die Spezialfarben sehr. Nur Gelb ist immer noch problematisch. Da neigt auch die Künstlerfarbe zum Verlaufen.“

Seine Sprühdosen kauft Vaine in einem Spezialgeschäft in der Sternschanze oder im Internet. Auch in Harburg gab es einen spezialisierten Händler, den „Sprühkopf“. Dort wurden lange die Zwei-Tage-Lizenzen für das Sprühen an der „Hall of Fame“, der Harburger Graffitiwand am Bostelbeker Hauptdeich, ausgegeben. Seit der „Sprühkopf“ allerdings geschlossen hat, müssen sich die Sprayer die Lizenz woanders besorgen. Der Umsonstladen Heimfeld, der Kiosk an der S-Bahn Heimfeld sowie die Geschäfte „Under Pressure“ und „Da Source“ in Hamburg geben die Lizenzen im Auftrag des Vereins „Großstadtraum“, der die Wand betreut, aus.

Trotz Ladenpleite: Auch an der Bostelbeker Wand wird weiter legal gesprüht

Ein Nachlassen der künstlerischen Aktivitäten an der Bostelbeker Wand hat es laut Verein nicht gegeben. Zurück an der Schwarzenbergstraße ist Vaine dabei, sein Werk zu vollenden. Zum Auffüllen der Flächen hat er Hilfe mit. Ein gelernter Maler unterstützt ihn und erhält im Gegenzug Einblick in Vaines Arbeitstechniken. Donnerstag ist Abgabe. Die Abendsonne blendet. Vaine zieht die Mütze tiefer.