Kostenlose IBA-Tour zeigt das quirligste Wilhelmsburger Quartier – Kuriositäten und genervte Anwohner inklusive

Wilhelmsburg. Der Spaziergang beginnt in etwa 40 Meter Höhe und mit einem baulichen Mysterium: Die als Rundweg gestaltete Terrasse am heutigen Energiebunker bietet einen der schönsten Ausblicke auf Hamburg – manche behaupten, den schönsten überhaupt. Warum aber im Jahr 1943 an dem Flakbunker eine Terrasse geschaffen wurde, wisse niemand mehr, sagt Aron Bohmann. Für einen Bunker mache diese Konstruktion eigentlich keinen Sinn.

Aron Bohmann studiert Urban Design an der HafenCity Universität und steht kurz vor dem Masterabschluss. Nebenbei führt er im Auftrag der Internationalen Bauausstellung (IBA) GmbH Menschen durch das Reiherstiegviertel. Jeden Donnerstag bis in den Oktober hinein zeigt Aron Bohmann abwechselnd mit einer zweiten Quartiersführerin Wilhelmsburgs quirligstes Viertel – und das kostenlos.

Nach der schweren Sturmflut 1962 hätte es das Reiherstiegviertel beinahe nicht mehr gegeben. 20 Jahre hielt sich die Idee bei Hamburgs Stadtplanern, das Gebiet dem Hafen zuzuschlagen. Die Folge: Die deutsche Bevölkerung verließ das Quartier, dass keine Zukunft zu haben schien. Gastarbeiter kamen, weil Wohnungen verfügbar und günstig waren. Damals flüchtete auch der Einzelhandel. Darauf geht bis heute eine Kuriosität zurück: Das Reiherstiegviertel habe die höchste Kioske-Dichte in ganz Hamburg, sagt Aron Bohmann. Kioske hätten damals die aufgegebenen Läden kompensiert.

Vom Bunker hinab geht es mitten hinein in das Weltquartier. Menschen aus 40 Nationen leben hier, deshalb der Name. Die zur Internationalen Bauausstellung sanierte Siedlung soll bewiesen, dass sozialer Wohnungsbau trotzdem chic sein kann.

1400 Menschen leben im Weltquartier in 740 Wohnungen. Mit der Sanierung seien die Mieten um 60 Cent pro Quadratmeter gestiegen. Gleichzeitig seien durch Energieeinsparung die Betriebskosten gesunken, so dass unterm Strich die Wohnkosten um 13 Cent pro Quadratmeter gestiegen seien. Was als moderate Steigerung gilt, war vielen ursprünglichen Mietern offenbar zu hoch: Nach der Modernisierung leben heute noch 30 Prozent der alten Bewohner im Weltquartier, sagt Aron Bohmann. Die übrigen Bewohner seien neu in das Quartier gezogen, die meisten von ihnen aus anderen Teilen Wilhelmsburgs.

Seit mehr als einem Jahr ziehen Gruppen von Stadtplanern, Architekten, Soziologen und andere Experten durch die neu geschaffenen Wohnhöfe des städtebaulichen Vorzeigeviertels. Ein Mann fragt vom Balkon herunter, was für eine Tour der IBA-Quartiersführer mache. „Wir gehen ja auch nicht durch ihre Gärten“, macht der Mieter deutlich, dass er sich bei dem Quartierstourismus wie im Zoo vorkomme. Er werde die Beschwerde weitergeben, verspricht Aron Bohmann artig.

Wie die IBA das Reiherstiegviertel beeinflusst und verändert hat, lässt sich auch an Broschüren nachvollziehen. Es sind die vielen kleinen Details, auf die Aron Bohmann aufmerksam macht und die den geführten Quartiersspaziergang so wertvoll und unverzichtbar machen.

Wem wäre von allein aufgefallen, dass einzelne bunte Gehwegplatten im Weltquartier nach Strickmustern gestaltet sind? Das ungewöhnliche Design geht auf eine interkulturelle Einwohnerbeteiligung zurück. Vier rote Säulen stehen wie Fremdkörper auf dem Rasen des Rotenhäuser Feldes, eine riesige Spielfläche für Schulklassen und Kinder im Viertel. Eine Theorie zur Erklärung sei, dass die Pfähle als Barrieren das Fußballspielen auf dem Rasenabschnitt verhindern sollen. Architektur zur Verhinderung des Fußballs – auch das gibt es auf der Elbinsel zu sehen.

Die vielleicht schönste architektonische Kuriosität der Elbinsel geht nicht auf die IBA zurück. Aron Bohmann empfiehlt in der Jenaer Straße den Kopf zu heben. Und dann fällt der Blick auf eine Haustür im Dach (!), die im Nichts endet.

IBA-Tour: „Reiherstiegviertel entdecken“, jeden Donnerstag 17 bis 19 Uhr, Treffpunkt: Energiebunker, Neuhöfer Straße 7, Teilnahme kostenlos.