Da sitzen sie auf dem Jungfernstieg und betteln. Deutsche und Ausländer. Einige mit verkrüppelten Händen oder Füßen. Sichtbar zur Schau gestellt.

Mitleidheischend. Mit Hund oder ohne. Mit einem Pappschild „Ich habe Hunger“.

Hand aufs Herz: Geben Sie den Bettelnden etwas? Wenn ja, aus Mitleid? Oder weil Ihr Gewissen Ihnen sagt, dass Menschen in Not geholfen werden muss? Wollen Sie den Anblick dieser Menschen schnell los werden? Oder geben Sie nichts? Und denken, dass die Bettler doch arbeiten könnten und der Staat eine bessere Sozialpolitik machen müsste? Ich bin da unsicher. Im Zweifel gebe ich einen Euro. Das unbehagliche Gefühl bleibt.

Bettler können lästig werden. Einer hatte seinen Stammplatz vor dem Hauptportal des Michels. Die über eine Million Touristen versprechen hohe Einnahmen. Er war oft betrunken und pöbelte. Eine Frau stellte mir ein Ultimatum: „Lassen Sie ihn endlich durch die Polizei entfernen. Wenn Sie das nicht tun, werde ich hier keinen Gottesdienst mehr besuchen.“ Ich habe ihr erklärt, dass seit eh und je an Kirchen und Tempeln gebettelt wird. Wir haben den Mann nicht weggeschickt. Und in Kauf genommen, dass die zornige Frau nicht mehr am Gottesdienst teilnahm.

Aber jetzt tut sich ein neues Problem auf. In einer Pressemitteilung der CDU steht zu lesen, dass die gewerbsmäßige Bettelei in Hamburgs Innenstadt endlich unterbunden werden muss. Die Zahl der aus Osteuropa kommenden Bettler habe kontinuierlich zugenommen. Die CDU kritisiert, dass während des jährlichen Winternotprogramms diese Bettlerbanden kostenlos von ihrer Unterkunft in die Innenstadt gefahren werden.

In der Tat ist gewerbsmäßiges Betteln ein Ärgernis. Wenn aus Wohltätigkeit ein Geschäft gemacht wird, wenn Kinder und Menschen mit Behinderung auf die Straße geschickt werden und das Geld dann an den „Boss“ abgegeben werden muss, ist das Ausbeutung. In meinen Jahren am Michel habe ich das immer am Heiligabend vor den fünf Gottesdiensten erlebt. Wir haben versucht, das zu unterbinden. Aber dass die „Bettler-Mafias“, wie manche sie nennen, in Hamburg aktiver geworden sind, bezweifeln Sozialarbeiter. Und ob das gewerbsmäßige Betteln ein Grund zum Bettelverbot ist, ist fraglich.

Hinz&Kunzt, die größte Straßenzeitung in Deutschland mit einer Auflage von 70.000 hat gegen den Anti-Bettel-Vorstoß der CDU protestiert: „Betteln ist für viele Menschen die einzig legale Form, um Geld zu verdienen.“ Die Zahl der Armen steige in Hamburg. Das sei für alle belastend. Sie aus der Innenstadt zu vertreiben, bedeute nur, das Problem wegzuschieben oder in andere Stadtteile zu verlagern. „Aber die Armut bleibt.“ Zu den kostenlosen Transporten in die Innenstadt bemerkt Hinz&Kunzt, dass es doch wohl selbstverständlich sei, dass Bettler den Erfrierungsschutz der Stadt in Anspruch nehmen. Hinz&Kunzt löst das Problem mit Menschen aus Osteuropa anders.

Zu den 500 registrierten Verkäufern der Zeitung gehören 50 Rumänen. Es könnten 100 aufgenommen werden. Aber man legt Wert darauf, sie intensiv zu betreuen und ihnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zu helfen.

Ich habe reichliche Erfahrungen mit dem Betteln. Berufsbedingt. Bittsteller klingeln an den Türen der Pastoren. Bei Tag und bei Nacht. Geld habe ich selten gegeben. Aber Lebensmittelgutscheine. Mit dem Vermerk: „Kein Alkohol“. Meine Frau weiß nicht, wie viele Brotscheiben sie mit Wurst belegt hat. Ein junger Mann wollte kein Brot. „Ich bin Jesus. Ich will eine Bibel“.

In seinem Wahn erinnert er daran, dass Jesus uns in den Armen und Verwirrten begegnet. „Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Originalton Jesus. Eine Bibel gab ihm meine Frau nicht. Am Ende nahm er Brot.

Helge Adolphsen ist emiritierter Hauptpastor des Hamburger Michel. Er lebt in Hausbruch.