Der Flüchtlingsraum am Tostedter Gymnasium macht deutlich, was Asylbewerber häufig erdulden müssen

Tostedt. Flüchtlinge waren für Emma McGauran und Aileen Zeidler, Schüler am Gymnasium Tostedt, bis vor kurzem noch weit weg. Etwas, dass man nicht richtig greifen kann. Doch nachdem Tostedt die ersten 50 Asylbewerber aufgenommen hat, sind die Männer aus Syrien, Algerien, Somalia und der Elfenbeinkünste zu ihren Nachbarn geworden. Die Zahl der Flüchtlinge wird noch auf insgesamt 116 Menschen steigen. Das wirft viele Fragen auf. Die Schulen in Tostedt wollen sie beantworten, bevor große Fragezeichen Vorurteile nähren.

Das versuchen sie mit einem neuen Lernraum zum Thema Flucht, den sie im Oberstufenzentrum eingerichtet haben. Der Vorstoß kam vom Arbeitskreis Schule ohne Rassismus, an dem Gymnasium, Haupt- und Realschule mitwirken. Es ist der Beitrag der Schulen in Tostedt im Bemühen, die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Heute, am internationalen Gedenktag für Flüchtlinge, wird der „Fluchtraum“ offiziell eingeweiht. Eltern und Interessierte sind eingeladen, sich ihn zwischen 12 und 15 Uhr anzuschauen.

Sobald man in den Raum tritt, fallen einem die Transparente auf. „Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit“, steht auf einem, ein Zitat von Willy Brandt. Oder von Albert Einstein: „Es ist schwieriger, ein Vorurteil zu zertrümmern als ein Atom.“

Mehrere Stellwände thematisieren die Flucht. Die Schüler erfahren, warum Syrer ihr Land verlassen, wie sie flüchten und welchen Gefahren sie ausgesetzt sind. Weder Bootsunglücke im Mittelmeer werden verschwiegen noch die Ablehnung, die Flüchtlingen mancherorts entgegen gebracht wird.

Das Angebot ist offen und richtet sich an die Klassen fünf bis zwölf des Gymnasiums sowie der Real- und Hauptschule. Ganz bewusst haben sich Lehrer Ulli Graß und Schulassistentin Bernadette Visse sowie die Kollegen der anderen Schulen Monique Möller, Elke Müller und Susanne Löwe dazu entschieden, den Besuch nicht zur Pflicht zu machen. Wann immer es sich anbietet, ob im Fach Religion, Werte und Normen oder Politik, können Lehrer mit ihren Schülern den „Fluchtraum“ aufsuchen.

Zu dem Projekt gehört auch ein Original-Zelt des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, das im Forum des Oberstufenzentrums steht. Als Emma McGauran, 13, aus Kakenstorf und Aileen Zeidler, 13, aus Todtglüsingen hineintraten, wurde ihnen erst bewusst, was es heißt, keine Wohnung und nichts mehr als das Zelt zu haben. „Sie sind ja noch nicht einmal mit Freunden, sondern mit Fremden in dem Zelt“, sagt Emma McGauran.

Für die Schüler ist das Projekt ein Augenöffner. Aileen Zeidler fand besonders eine Karikatur erschreckend, die einen Herrn auf einem Boot zeigt, der verunglückten Flüchtlingen zuruft: „Bitte schwimmen sie weiter nach Frankreich und die Gruppe dahinter nach England.“

Die Materialien des Lernraums sind so üppig, dass die Lehrer das Angebot an das Niveau ihrer Lerngruppe leicht anpassen können. „Man kann die Schüler besonders gut über Gefühle ansprechen“, sagt Lehrer Ulli Graß. Das geht beispielsweise in einem Spiel, in dem die Stationen der Flucht nachgebildet werden. Da muss sich der Fliehende verstecken, wird aufgehalten, muss Soldaten bestechen, bekommt eine Panne oder wird ins Gefängnis gesteckt. „Viele der Flüchtlinge, die nach Tostedt kommen, sind traumatisiert. Das Spiel zeigt, was sie auf der Flucht erlebt haben“, sagt Ulli Graß.

Bis zum Ende des Schuljahres kann der Raum von den Schulen genutzt werden. Er hofft, dass ihn dann fast jeder Schüler besucht hat. Gerade in Tostedt sei es wichtig, Vorurteile abzubauen, sagt Ulli Graß. Rechtsradikale hatten in den vergangenen Wochen mobil gemacht gegen die Unterbringung der Flüchtlinge in Tostedt. Im Februar hatten sie unter anderem eine Informationsveranstaltung gestört.