Industriegewerkschaft Chemie, Bergbau und Energie fordert mehr Gehalt, Übernahmen und einen Demografietarif

Harburg. Statt satt brummender LKW-Motoren gab es gestern ganz andere Töne vor dem Contitech Werkstor: Trillerpfeifen, Vuvuzelas und Megaphone beherrschten das Klangbild. Gut 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Phoenix-Nachfolge-Betriebe waren dem Aufruf der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) gefolgt und protestierten, um ihren Forderungen für die Tarifverhandlungen Nachdruck zu verleihen. Von den Vibracoustik-Luftfederungswerken an der Hörstener Straße, über die Contitech auf dem alten Phoenix-Hauptgelände bis zu den Werken von Carlisle (Spezialdichtungen) und dem Autozulieferer IAC in der Nöldekestraße zog der Protest von Tor zu Tor, jedesmal kamen mehr Arbeitnehmer hinzu.

Die Tarifverhandlungen in der Kautschuk-Industrie gehen am Dienstag in Hannover in die zweite Runde. Beim ersten Termin hatte der Arbeitgeberverband ADK noch kein Angebot vorgelegt. Gewerkschaftssekretär Rajko Pientka sieht das als Affront: „Das ist in der Chemie-Industrie eigentlich nicht üblich. Durch diese Verzögerung kommt ein neuer Tarif erst zum Tragen, nachdem der alte schon ausgelaufen ist. Das bedeutet Verluste für unsere Kolleginnen und Kollegen“, sagt er.

Die IGBCE hat mehrere Forderungen: Eine Lohnsteigerung um 5,5 Prozent, Übernahmegarantien für die Auszubildenden und einen so genannten Demografietarifvertrag: „Wir haben es mit einer älter werdenden Belegschaft zu tun, die immer höhere Produktivität leisten muss“, sagt Pientka. „Gleichzeitig nehmen im Alter auch Lebensbelastungen zu, wie die Pflege von Partnern und Angehörigen. Dem soll ein Sondertarifvertrag Rechnung tragen.“

In der ersten Verhandlungsrunde hätten die Gewerkschafter den Arbeitgebern vorgerechnet, dass es der Branche gut geheund sich die Betriebe die Forderungen der Arbeitnehmer ihrer Meinung nach leisten könnten. „Eigentlich fordern wir sogar noch zu wenig“, sagte Nils Mauch, Betriebsratsvorsitzender der Contitech. „Die Gewinne des Unternehmens stiegen um 11 Prozent. Einige Vorstandsmitglieder haben über 50 Prozent Gehaltserhöhung erhalten und die Aktionäre werden an der Gewinnsteigerung voll beteiligt, indem ihre Dividende erhöht wird. Für das nächste Jahr hat der Vorstand eine Gewinnsteigerung von 12 Prozent als Ziel ausgegeben. Da sind unsere Forderungen noch bescheiden.“

Das sieht der Kautschuk-Arbeitgeberverband ADK nicht so: „Unsere Unternehmen befinden sich international in einem Markt, der nicht stabil ist", sagt ADK-Pressesprecher Christian Budde. „Deshalb halten wir Vorsicht und Zurückhaltung für angebracht. Außerdem gibt es neben den großen Betrieben in der Branche auch zahlreiche Mittelständler. Wir wollen ein Tarifwerk, das flexibel genug ist, auch derem Bedürfnissen gerecht zu werden.“

Ein solcher Abschied vom Flächentarif wird in vielen Branchen diskutiert. In der Chemieindustrie ist er allerdings eher ein Novum, ebenso, wie das Verhandeln über das Auslaufen des alten Tarifvertrages hinaus. Im Gegenzug dafür haben sich die Chemiegewerkschafter jahrzehntelang als sanfte Verhandlungspartner gezeigt. Das könnte vorbei sein: „Wir haben den Schlichtungstarifvertrag gekündigt“, sagt Rajko Pientka. „Das bedeutet, dass wir jetzt selbst erklären können ob Verhandlungen gescheitert sind und dann Warnstreiks und Urabstimmungen herbeiführen.“

Der IGBCE-Bezirk Harburg vertritt in der Kautschukindustrie 4000 von bundesweit 25.000 Arbeitnehmerinnen und Artbeitnehmer u. a. bei den ehemaligen Phoenix-Werken, dem NYH-Werk und dem Dichtungshersteller Merkel in Lüneburg, sowie der Kondom- und Schnullerfabrik MAPA in Zeven.