Alice Martens sorgt als frischgebackene Betreiberin im Dorfladen in Otter mit neuen Ideen für viel frischen Wind

I ch bin fix und fertig“ – Alice Martens sitzt an einem kleinen weißen Tischchen auf der urigen Veranda vor ihrem Dorfladen in Otter und genießt die paar Minuten, in denen sie grade mal nicht zu tun hat. Sie ist wirklich kaputt, die letzten Tage waren für sie mehr als turbulent. Aber sie ist auch sehr glücklich, denn seit dem vergangenen Samstag ist die 45-Jährige stolze Betreiberin des kleinen niedlichen Tante-Emma-Ladens, der so etwas wie das schlagende Herz von Otter ist. Natürlich gab es eine Einweihungsfeier, der Spielmannzug Kampen spielte auf und alle Bewohner Otters schauten vorbei: „300 Würstchen wurden in kürzester Zeit geradezu weggeatmet, 200 Liter Bier haben wir ausgeschenkt“, freut sich Alice Martens immer noch über die überwältigende Freude und Resonanz, die die Wiedereröffnung ausgelöst hat.

Ein Vierteljahr war das kleine Geschäft geschlossen, jetzt ist Alice Martens da und hat viel frischen Wind in den Laden geweht. Vor der Wiedereröffnung war für sie und ihre Mitarbeiterin Christa Schröder jede Menge zu tun. Dass sie so eine versierte Kraft an ihrer Seite hat, ist für die frischgebackene Ladenbesitzerin ein absoluter Glücksfall, denn Christa Schröder arbeitet seit 17 Jahren in dem kleinen Laden und kennt die Kundschaft in- und auswendig.

Alice Martens hat die Verkaufsfläche vergrößert, an den Wänden strahlt frisches Weiß und Grasgrün, alles präsentiert sich jetzt großzügiger. Außerdem wurde der Verkauftresen versetzt: „Die Idee vom richtigen Standort hatte unser Bürgermeister Herbert Busch. Dem kam eines Nachts eine Eingebung und ich finde, seine Idee war gut“, lacht Alice Martens. Und zwar so gut, dass so auch gleich Platz war für ein kleines Café im Laden. In einer Nische an dem großen Fenster stehen jetzt weiße Stühle und Tische an denen man nett sitzen kann. Eine Wand ist bedeckt von Fotos, auf denen Bilder aus alten Zeiten zu sehen sind, auf vielen lächelt Christa Frank, die über 40 Jahre lang die gute Seele des Dorfladens war. „Wenigstens vier Generationen aus meiner Familie haben hier das Geschäft betrieben, schriftlich belegt ist der Laden seit 1888“, verrät Christa Franks Ehemann Friedo. Der 85-Jährige wohnt direkt nebenan und fühlt sich hier so wohl, dass es sogar in Puschen und mit einem kleinen Einkaufskorb bewaffnet kurz mal rüberkommt und Limo und Mineralwasser einkauft.

„Ich bin kein Feinkostkrämer, ich bin Tante Emma“, sagt Alice Martens stolz. Sie bietet ihre Kunden alles, was man braucht fürs Frühstück, Mittag und Abendbrot und das, was man beim Großeinkauf vergessen hat. Viele regionale Produkte hat sie im Sortiment: Brot, Brötchen und Kuchen kommen vom Bäcker Elmer aus Tostedt, die Eier liefert der Hof Prigge aus Heidenau und die Wurst kommt vom Moorbekhof aus Königsmoor. In einem Regal stehen außerdem braune Papiertüten mit Mehl, Müsli und Backmischungen von der Mühle in Oldendorf. Aber es gibt natürlich auch Spagetti, Kekse, Milch und Hygieneartikel - eben alles, was man in einem guten Tante Emma Laden bekommt. Außerdem gibt es einen kleinen Getränkehandel, der Dorfladen ist der einzige in der Umgebung, in dem man süffiges Rothaus-Bier aus dem Schwarzwald bekommt.

Schon ganz früh am Morgen stehen die Kunden bei Alice Martens auf der Matte. Um 5 Uhr schließt sie ihren Laden auf, zehn Minuten später werden frische Brötchen angeliefert, Tische und Stühle müssen auf der Veranda aufgebaut werden. Dann macht sie sich gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Schröder ans Brötchenschmieren. Obwohl sie erst um halb 6 Uhr offiziell öffnet, holen sich die ersten Kunden schon um Viertel nach fünf ihr Frühstück bei Alice Martens ab, „Käffchen, Zeitung, Zigaretten und ein Brötchen.“ Dauerbrenner bei ihr sind Mettwurst, Zwiebelmett und Gouda auf der knusprigen Stulle. Die ersten Kunden sind Handwerker, die vor der Arbeit bei ihr vorbeischauen. Ist der erste Schwung durch, geben sich am Morgen und Vormittag die Dorfbewohner von Otter die Ladenklinke in die Hand.

Ruhig wird es erst gegen zehn Uhr, dann kann Alice Martens die Beine, die vom vielen Laufen schon mal ganz schön schwer werden können, bei einem sehr leckeren Latte Macchiato ausruhen. Denn anders als in ihrem früheren Job, muss sie richtig anpacken. Und so hat sie auch überhaupt kein schlechtes Gewissen, dass sie zwar in einer „Muckibude“ angemeldet ist, aber noch kein einziges Mal trainiert hat: „Muckibude hab ich momentan hier genug“, stellt sie lachend fest.

Mit dem Dorfladen hat sich Alice Martens einen Traum erfüllt: „Ich wollte zwar eigentlich immer nur ein Café eröffnen, aber das mit dem Laden hier ist noch viel besser“, freut sie sich. Ihr Mann Stefan gab den Anstoß, den Traum wahr werden zu lassen. Denn er hörte eines Tages beim Brötchenholen, dass der Dorfladen vor dem Aus stehen würde. Alice Martens sammelte ihre Ersparnisse zusammen, ihr Mann gab ihr einen Kredit. Leicht machte es ihr auch die Gemeinde. Die zahlt schon seit Jahren die Miete und steuerte auch etwas zu den Renovierungsarbeiten bei. Und so gab es für Alice Martens auf einmal eine völlig neue berufliche Perspektive. Die stand sowieso an, denn nach zehn Jahren als Gesundheitsmanagerin bei einer Direktbank sollte sich sowieso etwas für sie ändern. Seit drei Jahren wohnt sie mit ihrer Familie in Kampen, der Weg zur Arbeit in Hamburg wurde ihr aber immer länger: „Drei Stunden pro Tag nur Fahrtzeit waren mir auf Dauer zu viel“. Heute hat sie das Glück, direkt um die Ecke von ihrem Wohnort zu arbeiten. Fast jeden Tag bekommt sie jetzt Besuch von ihrer Tochter, die in Otter zur Schule geht und sehr stolz auf ihre Mama und ihren Laden ist. Der einzige Wermutstropfen ist für sie das frühe Aufstehen, aber „watt mutt, dat mutt“, lacht sie.