Alina Kasteinecke präsentiert ein Jahr lang das größte Karottenanbaugebiet Niedersachsens

Bardowick. Die Fingernägel orange lackiert, das dunkelrote Kleid passend zur Brille, die hohen Schuhe eingelaufen: Alina Kasteinecke bereitet sich auf jeden Auftritt sorgfältig vor. Die 21-Jährige ist die 50. Wurzelkönigin ihres Heimatdorfs und eine von 55 zeitgenössischen Majestäten Niedersachsens.

Kartoffeln, Spargel, Erdbeeren, Korn, Heide, Rhododendren, Blüten, Wein – alles, was eine Region bekannt macht oder machen soll, kann das Präfix einer Königin sein. Wer jede Weinkönigin in jedem hessischen Dorf mitzählt, wird deutschlandweit auf 600 Majestäten kommen.

„Sie sind Aushängeschild und sympathischer, kostengünstiger Werbeträger“, sagt Heinz Gehnke, Landesbeauftragter für Niedersachsen in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Königinnen, seit 2003 Lobby der Werbeträgerinnen. Rund die Hälfte aller niedersächsischen Königinnen sind in dem Verband organisiert. Für Gehnke ist klar, dass das mitunter anachronistisch anmutende Konstrukt nicht wegzudenken ist: „Bestimmte Regionen würden ohne Königinnen kein Gesicht mehr haben. Veranstaltungen wie das Heideblütenfest würden ihr Herz verlieren.“

Bei Alina ist es die Wurzel. Denn, so erklärt die 21-Jährige: „Bardowick ist eines der größten Wurzelanbaugebiete Niedersachsens.“ Wobei die Wurzel hier die Möhre meint und mit Bäumen oder gar Zwergen rein gar nichts zu tun hat.

Nach welchen Kriterien der Gemüsebauverein die Repräsentantin des Dorfes auswählt? Alina weiß es nicht. Der Vereinsvorsitzende Hermann Bardowicks schon: „Wichtig ist uns der Bezug zu Bardowick. Models müssen die Mädchen nicht sein.“ Zwar sei die Bewerberinnenzahl mitunter übersichtlich – bislang hat sich aber immer noch eine junge Frau gefunden, um das Dorf nach außen würdig zu vertreten.

Alina reitet und spielt Querflöte im Orchester des Ortes, ihre Familie ist seit 250 Jahren in Bardowick nachzuweisen. Direkt gegenüber der Mühle, deren Flügel wie seit mehr als 100 Jahren sich im Wind drehen und mit ihrer Kraft noch Mühlsteine antreiben.

Seit 1907 betreibt die Familie Meyer die Windmühle, heutet ist Urenkel Eckhard Meyer Chef des Betriebs. Ein Drittel des Korns mahlt der Wind, den Rest schafft der Strom. Und damit die alte Tradition weiterhin rentabel ist, hat Meyer die Mühle um einen Laden und ein Café erweitert.

Jeden Tag sieht Alina den alten Holländer, seine Flügel knirschen, wenn der Wind sie dreht. Mehr Romantik geht fast nicht. Mal wegziehen von hier, geht das überhaupt? „Ich bin hier sehr zufrieden, aber je nachdem, was beruflich passiert, ja, doch“, sagt die Wurzelkönigin mit Krone, Schärpe und dezentem Nasenpiercing.

Schon vor anderthalb Jahren hat sich die Auszubildende zur Kauffrau für Versicherungen und Finanzen beim Gemüsebauverein um die Krone beworben – war allerdings zu spät dran. Sie blieb auf der Warteliste, war in diesem Jahr die erste Bewerberin und wurde ausgewählt. Eigentlich geht die junge Frau zu Hause gar nicht gern ans Telefon. Als sie aber die Nummer des Gemüsebauvereins auf dem Display wiedererkannte, nahm sie ausnahmsweise den Hörer ab.

Erzählen durfte sie von dem aufregenden Anrufen aber erstmal nur Oma, Mama und Papa. Der Rest des Dorfes durfte erst auf dem Wurzelball erfahren, wer ihre neue Königin wird. Anders als etwa in Amelinghausen wählt in Bardowick keine Jury die Majestät bei einer öffentlichen Veranstaltung aus, sondern der Vereinsvorstand macht das unter sich aus und stellt die Auserwählte dann festlich-offiziell beim jährlichen Ball vor.

Bis zu 30 Termine kommen bis Herbst auf sie zu. Warum die junge Frau ihre Freizeit in Kleid und Krone verbringen will? Sie sagt: „Ich finde es toll, so viel herumzukommen und so viele Menschen kennen zu lernen. Ich denke schon seit Jahren darüber nach, mich zu bewerben, habe mich aber erst letztes Jahr getraut.“

Ob sie Karotten denn eigentlich überhaupt mag, wollen wir natürlich wissen – und Alina nickt: „Ich habe schon als Kind ganz viel Wurzelsaft getrunken. Ich war immer ganz gelb.“ Als erster Termin stand für sie einer in Gummistiefeln an: beim Wurzelbauern. Für ein paar Informationen über Bardowicks Wurzeln aus erster Hand.

Mit der Möhre hat sich Bardowick eine sehr seltene Königskrone ausgesucht. Der Hit in Niedersachsen ist unangefochten die Heide. Kronen aus Heideblüten gibt es für sechs Königinnen im Verband, auf Platz zwei stehen Äpfel, Blüten und Kartoffeln. Neuenkirchen in der Lüneburger Heide setzt sich dabei deutlich ab: Dort repräsentiert ein König das Dorf – eine wahre Rarität unter zeitgenössischen Majestäten.