Der Künstler Rainer Wilcke macht in der Harburger Galerie Schauraum das Lebensgefühl sichtbar, dass alles im Fluss sei

Harburg. Rainer Wilcke macht auf den feinen Unterscheid zwischen Entwicklung und Fortlaufendem aufmerksam. Während Entwicklung in etwas Fertigem endet, bleibt Fortlaufendes ewig bestehen. Der 67-Jährige bevorzugt letzteres. Und weil er bildender Künstler ist, hat er dem Fortlaufenden eine Form gegeben. Die Produzentengalerie Schauraum zeigt jetzt zwei Installationen, die das Gefühl, das alles in Fluss sei, sichtbar machen.

Leicht hat es sich der Hamburger Künstler nicht gemacht, um ein Kunstwerk von irritierender Leichtigkeit zu schaffen. Vermutlich mehrere tausend Knoten, gezählt hat er sie nicht, hat Rainer Wilcke mit der Hand in profanen Draht aus dem Baumarkt geknüpft und auf diese Weise eine flüchtige Form installiert, die nur in der Erscheinungsvorstellung des Ausstellungsbesuchers fertig ist.

Leicht hat es sich Rainer Wilcke nie gemacht. Allein die Tatsache, dass er hauptberuflich bildender Künstler ist, zeigt das. Er hat an der Hochschule für bildende Künste Bildhauerei und Malerei studiert. Wie man davon leben kann? „Eigentlich nicht“, sagt Rainer Wilcke und lacht. Und so hat der Künstler nebenbei Tennisplätze glatt gezogen oder Fisch im Hamburger Hafen verladen.

Ausstellungen in Südkorea, Pilsen, Trnava und Graz stehen in seiner Biografie. In den beiden postsozialistischen Staaten Tschechien und Slowakei hat der Hamburger Künstler im Jahr 1994 dazu beigetragen, zwei im Sozialismus als Materiallager missbrauchte Synagogen ihre Würde wieder zu geben. Rainer Wilcke verputzte das übrig gebliebene Mauerwerk mit einem Erde-Wassergemisch. „Wasser ist ein reinigender Stoff, die Zerstörung wurde so gereinigt", erklärt er.

Aus diesem Beispiel wird schnell deutlich: Rainer Wilcke schafft nichts, das sich Kunstsammler in ihr Loft stellen oder an die Wand hängen. Für den Verkauf sei seine Kunst zu fremd, sagt er. Rainer Wilcke arbeitet nicht für den Markt, sondern aus sich heraus. Wenn er ein Kunstwerk schaffe, stelle er sich nicht die Frage, ob er damit Geld verdienen können. „Ich mache Kunst, die meinem inneren Empfinden entspricht“, sagt Rainer Wilcke.

Eine zweite, neue Arbeit Wilckes im Schauraum greift eine frühere Arbeit von ihm auf. Die Installation mit dem Titel „Übergang-Durchdringung – in die Wand, aus der Wand“ ist damit konsequent fortlaufend. Plastikschläuche gehen aus der Wand hervor. Oder durch sie hinweg – das liegt in der Fantasie des Betrachters. In ihnen stecken rote Stäbe, die Energie symbolisieren sollen.

Rainer Wilcke hebt damit die Wand der Galerie als bloßen Träger für Kunst auf. Die Wand wird Teil der Kunst. „Die Wand ist keine Begrenzung für mich“, sagt der Hamburger Künstler und dürfte damit manchen Galeristen erschrecken. Und da ist sie wieder: Wilckes Philosophie des Fortlaufenden, des Lebens im Fluss. Bei ihm verliert die Wand ihre Bedeutung als Grenze und wandelt sich zum Symbol der Unendlichkeit. Er zeigt: Hinter einer Wand existiert noch eine andere Welt.

Kleine Galerien wie der Schauraum in Harburg seien wichtig, damit „Kunst mit Ecken“, wie Rainer Wilcke sagt, an die Öffentlichkeit gelangt. Denn Hamburg sei keine besonders innovative Stadt. Die hanseatische Kaufmannschaft sei immer daran interessiert, was unter dem Strich herauskomme, sagt der Künstler. Im Rheinland zum Beispiel könnten die Menschen besser mit Verlusten umgehen. Das helfe der Kunstszene.

Verantwortlich für das Ausstellungsprogramm im Schauraum ist die Künstlergruppe artplacement, die sich bei der Auswahl der ausstellenden Künstler von Qualität und Vielfalt des künstlerischen Ausdrucks leiten lässt.

Ausstellung: „Übergang-Durchdringung“ von Rainer Wilcke, Schauraum, Schwarzenbergstraße 42 in Harburg, bis 29. Juni, Sonnabend und Sonntag 16 bis 18 Uhr.